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The Show Must Go On? - Kommende Katastrophen und die Regierung durch Resilienz

 

Eine Rezension von Amina Nolte (Amina.Nolte@sowi.uni-giessen.de)

Justus-Liebig-Universität Gießen

 

Folkers, Andreas: Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz: Katastrophische Risiken und die Biopolitik vitaler Systeme. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2017. 513 Seiten, 39,95 EUR. ISBN: 9783593508795.

 

Abstract

In Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz: Katastrophische Risiken und die Biopolitik vitaler Systeme untersucht Andreas Folkers drei Felder zeitgenössischer Sicherheitspraktiken: den deutschen Katastrophenschutz seit dem 11. September 2001, den Schutz vitaler Systeme und kritischer Infrastrukturen sowie das betriebliche Kontinuitätsmanagement. Dabei analysiert Folkers inwieweit Resilienz als Technologie des Regierens und als normatives Leitbild für historische und zeitgenössische Sicherheitsbestrebungen relevant geworden ist. Mittels einer Exposition des von ihm beobachteten Sicherheitsdispositivs der Resilienz leistet Folkers eine gelungene Diagnose der Gegenwartsgesellschaft, die weit über den Kontext Deutschland hinausweist und seine Analyse somit anschlussfähig für internationale Debatten im Feld der Kritischen Sicherheitsforschung macht.

 

 

Rezension

Inmitten einer Vielzahn an „humanitärer, ökologischer, sozialer und ökonomischer Krisen“ (S.15), ist das Konzept der Resilienz zu einem Schlüsselbegriff des 21.Jahrhunderts geworden. Denn Resilienz, so suggerieren etwa Ökonom_innen, Psycholog_innen, Pädagog_innen und Politiker_innen, ist der nötige Prozess der Anpassung von Subjekten und Systemen an das vermeintlich Unabwendbare. Was nicht vermieden werden kann, so eine Kernidee der Resilienz, soll zumindest in den möglichen Auswirkungen antizipiert und in den Strategien der Anpassung optimiert und stabilisiert werden.

 

Ausgangspunkt von Andreas Folkers Buch Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz ist die Beobachtung, dass „sich die Rationalitäten und Maßnahmen ‚zur Vorbereitung auf die Katastrophe‘ zu einem neuen Sicherheitsdispositiv, dem Sicherheitsdispositiv der Resilienz, versammelt haben“ (S.20). Resilienz wird dabei als eine historisch gewachsene und gegenwärtige Ausprägung von Si-cherheit analysiert Sie ist, so die zentrale Erkenntnis des Buches, „zum normativen Leitbild von zeitgenössischen Sicherheitsbestrebungen geworden“ (S.180).

 

Das erste Kapitel beginnt mit einer ausführlichen soziologischen Situierung der Arbeit und der Begründung für das, als „Analytik der Sicherheit“ (S.23) angelegte, Vorgehen. Hier gelingt nicht nur eine spannende Hinführung zu den drei umfangreichen empirischen Kapiteln, sondern auch eine stimmig begründete Abkehr von der in Deutschland prominent betriebenen Risikosoziologie: Demnach sind Sicherheitsbestrebungen nicht einzig als eine Antwort auf bestimmte, schlicht zu regierende Risiken zu analysieren, wie Folkers mit Rückgriff auf Debatten aus den Governmentality Studies, der kritischen Sicherheitsforschung und theoretischen Anleihen aus Systemtheorie, Science and Technology Studies (STS) und internationalen Debatten zur Biopolitik erläutert. Vielmehr rücken Risiken als historisch kontingente Produkte von Technologien der Sicherheit in den Blick. So gelingt es Folkers, Foucault‘sche Analytik mit den Einblicken von STS und Actor-Network-Theorie in ein aufschlussreiches, und bisher ebenso seltenes Gespräch zu bringen (S.44).

 

Das zweite Kapitel untersucht die Neuausrichtung des Katastrophenschutzes in Deutschland als Ergebnis veränderter Problematisierungen durch sicherheitspolitische Überlegungen. Dabei wird deutlich, inwieweit sich die Sicherheitsbedenken- und Bestrebungen nach 9/11 an den Normen des Resilienzgedankens ausgerichtet haben. Dass Resilienz auch in Bezug auf „kritische Infrastrukturen“ (S.165) und der Regierung der Katastrophe im Falle von betrieblichem Kontinuitätsmanagement zur Norm von Sicherheitsbestrebungen geworden ist, führt Folkers dann im dritten und vierten Kapitel pointiert und kenntnisreich aus. Im Mittelpunkt der skizzierten Gefährdungen stehen dabei nicht Subjekte oder die Bevölkerung selbst, sondern eben „vitale Systeme“ (S.24) und „kritische Infrastrukturen“ (S.24). Diesen wird in einem doppelten Sinne Kritikalität zugeschrieben: Sie sind „einerseits von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft“, „andererseits aufgrund ihrer hohen Komplexität aber auch krisenanfällig und damit in einem potentiell kritischen Zustand“ (S.162).

 

Aus dieser Gleichzeitigkeit ergibt sich die Wirkmacht des Resilienz-Konzeptes: Systemische Risiken, die nicht einfach ausgeschaltet werden können, weil die Bevölkerung auf das Funktionieren der Systeme angewiesen ist, müssen ihr Gefährdungspotential durch Sicherheitstechnologien reduzieren. Das bedeutet, auf mögliche Gefahren so vorbereitet sein zu müssen, dass kleine Störungen sich nicht in katastrophale Kettenreaktionen verwandeln können. Laut Folkers kommt der Resilienz in Bezug auf systemische Gefährdungen dabei ein „Doppelstatus“ zu: Resilienz wird „eine Technologie zur Kontrolle systemischer Risiken und zur Regierung der Katastrophe“, gleichzeitig aber auch zum er-klärten „Telos“, das Resilienz von Systemen zum normativen Leitbild von Sicherheitspraktiken setzt. So verstanden steht Sicherheit nicht mehr für die unbedingte Abwehr, Verhinderung und Ausschaltung aller potentiellen Gefahren. Vielmehr geht es darum, potentiell gefährdete Objekte, Prozesse und Zirkulationen vorab so zu konfigurieren, dass sie erfolgreich auf Krisen und Störungen reagieren und sich an diese neuen Gefahren anpassen können (S.180). Sicherheit kann diesem Verständnis nach nicht mehr gewährleistet, mögliche Unsicherheiten aber antizipiert und gemanagt werden. Von der Warte der Resilienz betrachtet, bedeutet Sicherheit daher ein kontinuierliches ‚the show must go on‘.

 

Folkers versammelt in seiner Dispositivanalyse zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele, die die Wirkmacht des Resilienzkonzeptes verdeutlichen. Anstatt dabei den klassischen, dichotomen soziologischen Denkformen (mikro und makro, Natur und Kultur, Mensch und Umwelt, System und Bevölkerung) zu folgen, nimmt der Autor die Verschränkungen, Vernetzungen, Wechselwirkungen und die damit einhergehenden Gefährdungen dieser vermeintlichen Gegensätze in den Blick (S.352). Sein Anspruch, die Verschiebung von Sicherheitsbestrebungen, weg vom „Regieren durch Subjektivierung“ (S.42) hin zu einer Steuerung vitaler Systeme und kritischer Infrastrukturen offenzulegen und zu analysieren, geht durchaus auf.

 

Offen aber bleibt die Frage, welche Rolle dem Subjekt zukommt oder welche Formen der Subjektivierung das Sicherheitsdispositiv der Resilienz hervorbringt. Dabei ließe sich in gerade durch die Anlage der Arbeit als Dispositivanalyse der vermeintliche Gegensatz von Subjekt und System in Frage stellen. Spannend zu diskutieren wäre, inwiefern Infrastrukturen der Sicherheit und Technologien der Resilienz – aller Ausrichtung auf vitale Systeme und kritische Infrastrukturen zum Trotz – dennoch auf spezifisch zugerichtete Subjekte angewiesen sind oder wie sie diese in zahlreichen Wechselwirkungen als Effekt hervorbringen.

 

In seinem Fazit weist Folkers auch auf Formen der kritischen Infragestellung aktueller Sicherheitspraktiken hin. Er diskutiert, wie sich durch eine Kritik der Sicherheit eine Zukunft erschließen ließe, die nicht in der Ablehnung, sondern in der Umdeutung von Sicherheit fußen könnte. Folkers skizziert eine Kritik, die Sicherheit nicht gegen Freiheit und Emanzipationsbestrebungen ausspielt, sondern affirmativ als „sicherheitspolitische Gegenkalkulation“ (S.467) zu aktuellen Praktiken von Sicherheit setzt.

 

Auch wenn die spannende Diskussion rund um mögliche Formen der Kritik von Sicherheit vielleicht in Relation zum Gesamtvolumen von ca. 500 Seiten etwas zu kurz kommen mag, gelingen Andreas Folkers in Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz insgesamt umfassende und bisweilen sogar packende Einblicke in die komplexen sicherheitspolitischen Konfigurationen der Gegenwart.

 

English Abstract

The Show Must Go On? – Governing Coming Catastrophes Through Resilience

In Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz: Katastrophische Risiken und die Biopolitik vitaler Systeme, Andreas Folkers examines three fields of contemporary security practices: German disaster control after 9/11, the protection of vital systems and critical infrastructures, and operative continuity-management. In how far, Folkers asks, does resilience function as a technology of rule and a normative model for past and present security practices? In identifying and exposing resilience as a security dispositif, Folkers offers an insightful diagnosis of contemporary societies, the scope of which goes well beyond Germany and speaks to current debates in the field of critical security studies.

 

 

Copyright 2019, AMINA NOLTE. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).