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Guideline zum interspeziesfähigen Lernen und Lehren

 

Eine Rezension von Fatma Kargin (fatma.kargin@gcsc.uni-giessen.de)

International Graduate Centre for the Study of Culture (Giessen)

 

Horstmann, Simone (Hg.). Interspezies Lernen. Grundlinien interdisziplinärer Tierschutz- und Tierrechtsbildung. Bielefeld: transcript Verlag, 2021. 428 Seiten, 49,50 EUR. ISBN: 978-3-8376-5522-3.

 

Abstract

Wie kann das spezies-orientierte Denken und Handeln im Lehren und Lernen überwunden werden? Wie können wir Lernprozesse gestalten, in denen der Tierschutz sowie die Tierrechtsbildung von vornherein verankert sind? Während sich der vorliegende interdisziplinäre Sammelband diesen Fragen widmet, formulieren die Beiträge kreative Leitlinien und verweisen auf Handlungsmöglichkeiten für die interspeziesfähigen Lehr- und Lernprozesse.

 

Review

Wie könnte ein Lernsetting, das nicht mehr auf der Ausbeutung der nichtmenschlichen Tiere beruht, aussehen? Herausgegeben von Simone Horstmann liefert der interdisziplinäre Sammelband in fünfzehn Beiträgen kreative Antworten auf diese Kernfrage. Die Beiträge befassen sich überwiegend mit den Möglichkeiten der interspeziesfähigen Lehr- und Lernprozesse zwischen menschlichen, nichtmenschlichen und zuweilen auch fiktiven Tieren.


Während der erste Teil des Sammelbandes fachdidaktische Zugänge u.a. aus archäologischer, bildungswissenschaftlicher, kunstpädagogischer, linguistischer und juristischer Perspektive präsentiert, liefert der zweite Teil einige Einblicke in die aktuelle Praxis des interspeziesfähigen Lernens.


Mit dem Beitrag „Auf den Schultern von Riesen“ nimmt Valeska Becker die Leser_innen mit auf eine ur- und frühgeschichtliche Reise der Tier-Mensch-Beziehungen und informiert über die ersten Versuche der Domestizierung. Nach impulsartigen Auseinandersetzungen mit dem Tierschutz, der Tiernutzung, der Tiertabuisierung sowie deren Vergleich mit der Gegenwart, formuliert sie Empfehlungen für die möglichen Lernprozesse im Hinblick auf die interdisziplinären Handlungsmöglichkeiten. Beckers Beitrag fungiert somit auch als eine Einleitung für den Sammelband. Während Kurt Kotrschal mit einem evolutionären Blick die Biophilie und die Vermenschlichung der nichtmenschlichen Tiere erläutert, bietet Andreas Hübner eine geschichtsdidaktische Perspektive. In seiner Auseinandersetzung mit Mensch-Tier-Beziehungen sowie deren zeitlichen und räumlichen Wandel plädiert er für trans-disziplinäre Bildungsprozesse, die Tierrecht und Tierschutz in den allgemeinen Lernprozessen verankern sollen (S. 103). 


Nach der Vorstellung der Theriophilie, der Ökopädagogik, der tierlichen Standpunkttheorie sowie deren Bezug zur allgemeinen Pädagogik, formuliert Kai Horsthemke die Anerkennung der Rechte der Tiere als „menschliche Befreiung“ (S. 128), die die Rolle des Menschen als ‚Unterwerfenden‘ ablösen und das Dominanzverhältnis gegenüber den nichtmenschlichen Tieren nachhaltig beenden soll (S. 128). Nach diesem Denkanstoß von Horst Hemke veranschaulicht Marvin Giehl mit seiner empirischen Studie die Haltungstransformationen am Beispiel veganer Ernährung und die mitschwingenden Ambivalenzen und Risiken.


Mit Fragen nach kunstpädagogischen Herausforderungen im Kontext von interspeziesfähigen Lernen befasst sich Ana Dimke in ihrem Beitrag „What art can do is ‘to reconnect us with the world of animals‘“. Die Autorin rekapituliert zunächst mit animal agency den zeitlich-räumlichen Perspektivenwandel der nichtmenschlichen Tiere von ‚kunstlosen Wesen‘ zu ‚Co-Performer_innen‘ und ‚ästhetischen Akteur_innen‘. Anschließend zeigt sie auf, dass Mensch-Tier-Verhältnisse im Kunstunterricht im deutschsprachigen Raum vernachlässigt werden. Darauf aufbauend formuliert sie einen Leitfaden, der zum „Bewusstsein des Eigenwertes eines jeden Individuums“ (S. 173) im Kunstunterricht führen soll. Anhand des Beispiels Interspecies Collaboration von Künstlerin Jevbratt zeigt sie auch praktische und pädagogische Herangehensweisen, die zur Überwindung des speziesorientierten Denkens und Handelns führen können (S. 182–184).


In einem weiteren lesenswerten Beitrag zeigt Liza Bauer, wie die fiktiven und erkenntnisreichen Tiertexte, beziehungsweise die Literaturtiere, ein interspeziesfähiges Lernen im Literaturunterricht fördern können. Ähnlich wie A. Dimke zielt die Autorin auf eine Überwindung des speziesorientierten Denkens (S. 208) und zeigt, wie die tierlichen Fokalisierungen produktive Auseinandersetzungen zwischen fiktiven, menschlichen und nichtmenschlichen Tieren ermöglichen können (S. 216).


Während Barbara Felde die Signifikanz der rechtlichen Verbesserung des Tierschutzes betont, bringt Simone Horstmann die subjektiven Erfahrungen der Lernenden in den Mittelpunkt. In ihrem Beitrag schlägt Horstmann vor, dass die subjektiven Erfahrungen der Lernenden mit den nichtmenschlichen Tieren ins didaktische Setting einfließen können (S. 357). Hierfür hat die Autorin das Ziel, dass die Lernenden die Symbiose (S. 367) und das Leben der anderen Tiere bedeutsam erleben (S. 357), indem sie beispielsweise ihre Erfahrungen artikulieren oder kreativ gestalten (S. 357). Hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch den Bezug zur Interanimalität, die die Verbindung der Lebendigen bezeichnet. Nach der Vorstellung der Isopraxis – die sich als die geteilte Praxis zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren versteht (S. 368) – schlägt die Autorin in Anlehnung an Merleau-Pontys Leibphänomenologie und Interanimalität eine interaktionstheoretische Konzeptualisierung (S. 369) des Lehrens und Lernens vor. 


Die letzten zwei Beträge, die aus einer empirischen Untersuchung und einem Erfahrungsbericht bestehen, geben den Leser_innen einen Einblick in die Praxis. Während Janine Binngießer mit ihrer Studie belegt, dass die intrinsischen Motivationen und das Empathievermögen mit tierschutz-orientiertem Unterricht gefördert werden können (S. 408), erläutert Stephanie Wirth den Bedarf der Verankerung des Tierschutzes beziehungsweise der Tierschutzbildung im Kerncurriculum (S.421).  


Insgesamt präsentiert sich der Sammelband als lesenswerte Guideline zum interspeziesfähigen Lehren und Lernen. Von den Literaturwissenschaften bis hin zur Archäologie und Wissenschaftsphilosophie bieten die Autor_innen beispielhafte Leitlinien und Handlungsempfehlungen, die die Tierschutz- und Tierrechtsbildung als einen Teil von Lernprozessen von vornherein inkludieren.

 

English Abstract

Overcoming Species-oriented Thinking in Learning and Teaching

How can we overcome the species-oriented mindset in teaching and learning? Can we design learning processes in which the welfare of animals is seen as the fundamental principle to begin with? While focusing on such questions in an interdisciplinary field, this anthology showcases creative and concrete guidelines to tackle the problem of species-oriented thinking.

 

 

Copyright 2021, FATMA KARGIN. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).