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Wege zum besseren Verständnis der immanenten Informationsgehalte von Fotografien

 

Eine Rezension von Philipp Mathias Campina (philipp.campina@posteo.de)

Universität Passau

 

Ziehe, Irene und Ulrich Hägele (Hg.): Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung. Visuelle Kultur. Studien und Materialien, Band 12. Münster/New York: Waxmann, 2017. 372 Seiten, 38 EUR. ISBN: 978-3-8309-3664-0.

 

Abstract

Im Tagungsband Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung, herausgegeben von Irene Ziehe und Ulrich Hägele, stellen Autoren mit unterschiedlichen, durchaus auch nicht-akademischen Hintergründen ihre Forschungsergebnisse vor. In 23 Beiträgen widmen sie sich interdisziplinär dem Themenfeld Fotografie und Bildanalyse. Anhand der Skizzierung methodologischer Ansätze sowie konkreter Deutungsbeispiele wird praxisnah veranschaulicht, wie Fotografien, deren Gebrauchs- und Entstehungskontext weitestgehend unbekannt ist, analysiert und gedeutet werden. Damit schafft das Werk die Grundlage für ein besseres Verständnis der immanenten Informationsgehalte von Bildern. Im Zeitalter der Wissensgesellschaft, das sich durch eine verstärkte Nutzung neuer Medien und damit auch von Fotos auszeichnet, ist die Fähigkeit, letztere kritisch zu befragen und deuten zu können essenziell. Das vorliegende Werk ist eine Anregung, die neugierig auf eine Intensivierung dahingehender wissenschaftlicher Forschungen macht und für die damit einhergehenden öffentlichen Diskurse sensibilisiert.

 

 

Rezension

Fotos sind heutzutage ein wichtiges Mittel der Erinnerung, der tagtäglichen Kommunikation und des Konsums. In den sozialen Medien steht die Abrufbarkeit von Videos und Abbildungen sowie Animationen on demand auf der Tagesordnung. Auf Snapchat, einem kostenlosen Instant-Messaging-Dienst, können Bewegtbilder, Videos und Fotos an ausgewählte Personen geschickt werden. Dabei werden Medien nur für eine kurze Zeit zur Verfügung gestellt, ohne dass auf Hintergrundinformationen zurückgegriffen werden kann, und anschließend gelöscht. Umso wichtiger ist es, Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven deuten zu lernen und die eigenen Untersuchungsansätze und Betrachtungsweisen immer wieder neu zu hinterfragen und anzupassen.

 

Es erstaunt daher nicht, dass die Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2016 ihre 8. Tagung mit dem Titel Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung dem Themenfeld Fotografie und Bildanalyse widmete. Im Zentrum der Betrachtungen stand vor allem die Frage, wie eine „Faktengewissheit“ und damit wissenschaftliche Relevanz erreicht werden kann (S. 5). Diese Anforderung ist insbesondere in jenen Fällen schwer einzuhalten, in denen Bilder befragt werden, über die keine Fakten bzw. Daten überliefert sind und die somit auf anderen Wegen untersucht werden müssen. Ein Ansatz zur Ermöglichung einer Interpretation ist die Verzahnung von Beschreibung und Interpretation mittels einer Analyse, die sich an einem „[...] interdisziplinären, qualitativ-phänomenologischen Ansatz [...]“ orientiert (S. 9). Um diesen noch weitgehend unterforschten Gegenstand wissenschaftlich zu untersuchen, wurde 2001 die Kommission Fotografie gegründet (S. 9). Diese befasste sich 2016 auch interdisziplinär mit dem Thema und richtete ihr Untersuchungsspektrum in der Folgezeit multiperspektivisch und international aus (S. 9, 10). Der vorliegende Tagungsband umfasst somit die Ergebnisse einer Zusammenkunft, in der erstmals Fotografien ohne Kontext samt deren Deutung Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung waren.

 

Aufgrund des unterschiedlichen beruflichen Hintergrundes der Referentinnen und Referenten (von Wissenschaftlern bis zu Freiberuflern) sowie deren divergierender Herkunft (Österreich, Finnland und Deutschland) kann sich die Leser_in einen Überblick über das erwähnte Thema (S. 10) verschaffen. Somit ist es möglich, sich den Bedeutungsgehalten von Fotografien mittels aktuell rezipierten und debattierten Zugängen aus einer Vielzahl an Wissenschaftsdisziplinen zu nähern (S. 10).

 

Einige Beiträge thematisieren methodologische Vorgehensweisen bei der Bildbetrachtung und –untersuchung. So verdeutlicht Thomas Abdel, wie die Dekontextualisierung fotografischer „Bild-Ereignisse“ (S. 48) dabei helfen kann, trotz fehlender Hintergrundinformationen, mittels der „Segmentanalyse“ (S. 49) oder „objektiv-hermeneutische[n] Bildauslegung“ (S. 49), unter Berücksichtigung des Betrachters mit seinen Assoziationen, neue Deutungshorizonte zu erschließen. Dabei führt der Mangel an Hintergrundinformationen nicht zu einer „(kommunikativen) Bildkrise“ (S. 51) und der Informationsgehalt einer Abbildung wird durch das Fehlen von Daten zu den Umständen seines Zustandekommens folglich gerade nicht minimiert. Vielmehr ergibt sich daraus die Chance, in einem Bild mehrere Bilder und damit eine Vielfalt an „[...] alternative[n] und interessantere[n] Bildeinsichten [...]“ auszumachen (S. 51). Statt zu versuchen, schriftlichen, rahmenden oder kommentierenden Kontexten Informationen über ein Bild zu entnehmen, werden demnach visuelle Gehalte analysiert, um Deutungsmöglichkeiten aufzuzeigen (S. 51). Dabei kann die Bestimmung der raumzeitlichen, sozialen und figurativen Zusammenhänge und Kontexte, die im Bild festgehalten sind, behilflich sein (S. 51). Mithin läuft man bei Bildanalysen spürbar weniger Gefahr, Bilddeutungen oder –wertungen vorzunehmen, die nur einen Teil jener Aspekte abdecken, die im Foto liegen und ergründet werden können (S. 51). Vor diesem Hintergrund scheint mir Martin Rademachers Methode der Erforschung „[...] der Semantik räumlicher Arrangements [...]“ (S. 167) im Foto mittels Ausblendung des Kontextwissens „[...] in methodisch kontrollierter Weise [...]“ (S. 168) ein guter Zugang zu sein. Die Methode ermöglicht eine grundlegend neue Perspektive bei der Deutung von Fotos. Wenn schon vermutet werden kann, dass aufgrund der bekannten Hintergrundinformationen eine Interpretation des Festgehaltenen vorliegt, erschließen sich unter Anwendung der beschriebenen Vorgehensweise weitere Erkenntnisinteressen und -wege. Als Ergebnis wird das Potenzial der Fotografie, für sich selbst zu stehen und als ganzheitlicher Informationsträger zu fungieren ausgeschöpft.

 

Neben diesen methodologischen Ansätzen beinhaltet der Sammelband Aufsätze, in denen anhand konkreter Beispiele aufgezeigt wird, wie Fotografien, zu denen aufschlussgebende Angaben fehlen, gedeutet werden können. Beispielsweise nimmt Ingo Niebel unbeschriftete Portraits deutscher Soldaten aus der Zeit des zweiten Weltkriegs in den Fokus und setzt diese sowohl aufgrund der Bilddetails, als auch aufgrund der Beschreibung, mittels derer diese heutzutage verkauft werden, in einen doppelten Kontext. Abbildungen der „’arisierte[n]’“ (S. 267) Mode Wiens 1938-1940 analysiert Andrea Hurton und deckt dabei mittels Quellenverschränkung Opfer-Täter-Konstellationen auf. Gemeinsam ist den Beiträgen die Vorgehensweise: Schrittweise zeigen die Autoren dem Leser, wie sie vom Bild und den dazu recherchierten Informationen ausgehend zu den entsprechenden Ergebnissen gelangt sind. Dabei sind die Erläuterungen mit abgedruckten, untertitelten oder um Anmerkungen ergänzte Abbildungen versehen, was es der Leser_in ermöglicht, den Deutungsprozess gut nachvollziehen zu können.

 

Insgesamt machen die Internationalität, Multiperspektivität und Interdisziplinarität des Werkes dieses zu einer guten Grundlage für zukünftige Forschungsvorhaben. Andererseits kann es zudem als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Bildanalyse- und Auswertungsverfahren im privatwirtschaftlichen Kontext fungieren. Insofern ist der Tagungsband sowohl für die Forschung als auch für jene Leserschaft, die in Bildagenturen, freiberuflich oder in Bibliotheken tätig ist, gleichermaßen interessant. Dass bei den Annäherungsversuchen an die noch wenig erforschte Materie bisweilen Beiträge über methodologische Vorgehensweisen noch nicht stringent mit jenen über das konkrete Vorgehen aufeinander abgestimmt sind, vermag nichts daran zu ändern. Ein erster Schritt, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese gewichtige Fragestellung zu lenken, ist getan. Denn es ist, in Zeiten wie den heutigen, in denen Bilder teilweise als Hauptkommunikationsmittel genutzt werden, von alltäglicher Relevanz, diese kritisch befragen und deuten zu lernen.

 

 

English Abstract

Ways of Creating a Better Understanding of the Inherent Informational Contents of Photographs

In the conference volume Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung, edited by Irene Ziehe and Ulrich Hägele, authors with various professional backgrounds, academic as well as non-academic, present their research results. 23 contributions are dedicated to photography and scientific picture analysis on an interdisciplinary basis. By outlining methodological approaches as well as giving examples of interpretations, the authors demonstrate how photographs with unknown design and contexts of origin are analyzed and interpreted. Thereby they provide a common foundation for a better understanding of the inherent informational contents of photographs. In the age of the knowledge society, described best by the strengthened use of new media as well as photographs, the ability to critically scrutinize and interpret the latter is vital. This publication is an inspiration arousing curiosity for the intensification of scientific research in this field of study and raising awareness for the need to introduce these new aspects into the public discourse.

 

 

Copyright 2019, PHILIPP CAMPINA. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).