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Wie KulturwissenschaftlerInnen lesen, forschen, und schreiben

 

Eine Rezension von Melanie Grumt Suárez (melanie.grumt-suarez@gcsc.uni-giessen.de)

International Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)

 

Krentel, Friedolin; Barthel, Katja; Brand, Sebastian; Friedrich, Alexander; Hoffmann, Anna Rebecca; Meneghello, Laura; Müller, Jennifer Ch. und Christian Wilke: Library Life. Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens. Lüneburg: Meson Press, 2015. 300 Seiten, 24,90 EUR. ISBN: 978-3-95796-025-2.

  

Abstract

Der Band Library Life: Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens eröffnet Einblicke in Entstehungsorte und -praktiken kulturwissenschaftlichen Wissens. Diese am GCSC und aus der Forschungsgruppe „Research Area 8“ (Cultures of Knowledge, Research, and Education) entstandene Publikation ist eine interdisziplinäre und kollaborativ erarbeitete Studie von acht AutorInnen, die Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen in ihren persönlichen Schreibräumen besucht und mit einem breiten Fragenpanorama zu individuellen, technisch-materiellen, praktischen, medialen, sozialen, institutionellen, ökonomischen, politischen und ideellen Hintergründen befragt haben. Ihre Ergebnisse stellen sie in themenspezifischen Einzelkapiteln vor. Damit leistet dieser Band einen wichtigen Beitrag zu bislang kaum erforschten Strategien und Praktiken in der kulturwissenschaftlichen Forschung.

 

 

Rezension

Wie werden z.B. Schreibtische, Notizblöcke und der Computer-Desktop von Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen heutzutage benutzt und gestaltet? Wann und wo wird eigentlich wieviel gearbeitet? Wie entsteht ein (wissenschaftlicher) Text? Der vorliegende Band widmet sich verschiedenen Schreib- und Arbeitspraktiken sowie Lebensentwürfen befragter akademischer WissenschaftlerInnen.

 

Diese Publikation ist das Ergebnis eines von der Forschungsgruppe „Research Area 8“ (Cultures of Knowledge, Research, and Education) am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der JLU Gießen initiierten Projektes. In Library Life: Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens (2015) werden in acht Artikeln und einem Exkurs vor allem die Arbeitspraktiken und -situationen von Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen anhand von ausgewerteten Interviewgesprächen vorgestellt. Die AutorInnen fragen unter anderem nach dem Zusammenspiel von Materialität und Alltagspraktiken wissenschaftlicher Forschung und Arbeit (vgl. S. 23). Jeder Artikel nimmt den Fragebogen zur Grundlage, der in insgesamt 21 Fragen die Themenbereiche „Arbeit und Räume“, „Dinge und Prozesse“ und „Tradition und Erfahrung“ abdeckt. Die Zusammenstellung des Fragenkatalogs erscheint durchdacht, ausgewogen und deckt sich mit den drei Sektionen des Buches. Die sieben befragten TeilnehmerInnen bilden eine heterogene Gruppe ab, so dass verschiedene wissenschaftliche Karrierestufen (DoktorandIn, Postdoc, JuniorprofessorIn, PrivatdozentIn, Lebenszeitstelle, ProfessorIn) und unterschiedliche Altersgruppen vertreten sind. Neben dem Fragenkatalog haben die InterviewerInnen während der Gespräche Beobachtungsprotokolle verfasst. Außerdem wurden zur Dokumentation der räumlich-materiellen Umgebung der ProbandInnen Video- und Tonaufnahmen erstellt. Diese Vorgehensweise zeugt von einem vorbildlichen Methodensetting, das im gesamten Buch stets schlüssig erscheint.

 

Die AutorInnen haben sich bei der Entwicklung dieses Buchprojektes im Vorfeld mit verschiedenen Texten der Akteur-Netzwerk-Theorie (kurz ANT) auseinandergesetzt und diese in den Band integriert. Schließlich haben sie sich von der Studie Laboratory Life: The Construction of Scientific Facts (1986) von Steve Woolgar und Bruno Latour inspirieren lassen und die „sozio-materielle Praktizität naturwissenschaftlicher Erkenntnisproduktion“ (S. 10) als Ausgangspunkt genommen, um ein eigenes empirisches Projekt in den Geistes- und Kulturwissenschaften zu konzipieren. Dabei haben sie eine Kombination aus qualitativen Interviews und punktuellen Beobachtungen gewählt. Ein wiederkehrendes Element der Artikel sind eingebettete transkribierte oder paraphrasierte Zitate, die den AktantInnen des Projekts Library Life Gehör verschaffen und die Artikel so auf erhellende Weise abrunden.

 

Ein Beispiel hierfür ist Jennifer Ch. Müllers Beitrag „Arbeit – Macht – Sinn: Zur Entgrenzung von Arbeit im Wissenschaftsbetrieb“ (S. 37-75). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die im Universitätsbetrieb arbeitenden und etablierten AkademikerInnen sich sehr stark mit dem jeweiligen Arbeitsgegenstand identifizieren und dadurch häufiger erfolgreich Strategien der Selbstdisziplinierung verfolgen können. Damit schaffen sie es, ihre Arbeit nicht als Zwang, sondern als Lust zu erleben (vgl. S. 71).

 

Im Beitrag „Wissens-Dinge: Eine Phänomenologie des Wissen organisierenden Inventars im Library Life“ (S. 99-135) widmet sich Sebastian Brand der Dinglichkeit unserer Kopfarbeit. Er zeichnet akribisch das Inventar der Dinge und Werkzeuge nach, die von den WissenschaftlerInnen zum Organisieren ihres Wissens eingesetzt werden. Diese Dinge reichen von simplen Lesezeichen bis hin zu ganzen Notizbüchern, dem Laptop und der Festplatte. In diesem Beitrag hervorzuheben sind vor allem die detailreichen Tabellen (S. 129-133) zu den verschiedenen Systemen der Wissensspeicherung. Eine Übersicht, die zum eigenen Erproben von neuen Produktionsformen einladen kann.

 

Insgesamt liefern die Artikel viele spannende Einblicke in die Arbeitsweise, Wissensdokumentation, Arbeitsumgebung sowie das Verhältnis von Arbeitswelt und Privatleben verschiedener AkteurInnen im wissenschaftlichen Feld. Man erfährt von Schreibblockaden und möglichen Lösungen sowie von Schreibproduktion und Ritualen. Manche LeserInnen werden sich selbst wiedererkennen und möglicherweise interessante Anregungen finden, um ihren wissenschaftlichen Arbeitsalltag umzuorganisieren. Man darf hoffen, dass diese Studie dazu anregt, die im Ausblick formulierten Vermutungen und Perspektiven weiterzudenken.

 

 

English Abstract

How Scholars in Cultural Studies Read, Research, and Write

The volume Library Life: Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens provides an insight into the practices of these places and the production of cultural knowledge. The interdisciplinary and collaborative study from eight authors is the product of work by Research Area 8 (Cultures of Knowledge, Research, and Education) at the GCSC. The authors visited scholars from the humanities and cultural studies with a broad questionnaire plumbing their individual, material, practical, medial, social, institutional, economic, political, and ideational backgrounds at their personal workspaces. The results of this survey are presented in single, issue-specific chapters. This publication delivers an important contribution to the as yet scantily researched strategies and practices in the field of cultural studies.

 

 

Copyright 2018, MELANIE GRUMT SUÁREZ. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).