Return to Article Details Depicting the Holocaust through Self-Reflexive Forms of Representation. An Interdisciplinary Perspective
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Selbstreflexive Darstellungsformen. Eine interdisziplinäre Perspektive auf Repräsentationen des Holocausts

 

A Review by Silvia Casazza (silvia.casazza@ggk.uni-giessen.de)

Gießener Graduiertezentrum Kulturwissenschaften

 

Heindl, Nina & Veroniqué Sina (Hg.): Notwendige Unzulänglichkeit. Künstlerische und mediale Repräsentationen des Holocaust. Berlin: LIT Verlag, 2017. 240 Seiten, 34,90 EUR. ISBN: 978-3-643-13539-1.

 

 Abstract

Die Frage nach einer adäquaten Darstellung des Holocausts hat ihre Wichtigkeit nie verloren, sondern taucht im Rahmen neuer Darstellungsweisen bzw. neuer Medien stetig wieder auf. Der interdisziplinäre Sammelband Notwendige Unzulänglichkeit versammelt elf Beiträge zum Thema der Repräsentation des Holocausts in verschiedenen Medien und der Kunst, mit einem Fokus auf neuen Darstellungsformen und ihrem Potential an Selbstreflexivität. Herausgegeben von Nina Heindl und Véronique Sina untersuchen die Autor_innen unterschiedliche literarische, künstlerische und (trans)mediale Vermittlungen der Shoah, die nicht nur die Vergangenheit neuartig verarbeiten, sondern auch die traditionellen Konventionen der Repräsentation infrage stellen.

 

 

Review

Die Debatte über die (Un)darstellbarkeit des Holocausts hat selbstverständlich zuerst im Rahmen der literarischen bzw. künstlerischen Repräsentation begonnen. In Bezug darauf knüpft Monika Schmitz Emans’ einführender Beitrag über „Literatur und Holocaust“ an T.W. Adornos ‚Verbot‘ an, laut dem es „barbarisch“ sei, nach dem Holocaust noch Literatur zu schreiben, und untersucht die Nachwirkungen dieser Behauptung in den darauffolgenden Auseinandersetzungen zwischen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern. Aus dieser Debatte ergibt sich, dass die Literatur, bzw. die Kunst, die Erfahrung des Holocausts nicht in toto begreifen kann, sie aber trotzdem fragmentarisch und bewusst unzulänglich als Mahnung für die Zukunft darstellen muss. Solche Funktionen der Erinnerungskultur werden immer wichtiger, da die Zeitzeugen schrittweise sterben und eine neue postmemory-Generation keine direkte Verbindung mehr mit der Vergangenheit hat.

 

Diese neue postmemoriale Generation des media memory (s. 145), d.h. diejenigen, die den Holocaust nur durch Erzählungen von Zeitzeugen und durch andere Medien rezipiert haben, wird ausführlich im Aufsatz „Holocaust lite“ von Susanne Rohr beschrieben, in dem sie die relativ neue und noch kontroverse Gattung der Holocaust-Komödie analysiert. Im Rahmen der ironischen und teilweise bissigen literarischen Komödien erkennt die Autorin „eine neue Erinnerungskultur“ (s. 147), die die traditionelle Darstellung des Holocausts in Frage stellt und die Instrumentalisierung der Vergangenheit kritisiert. Wegen, bzw. Dank ihrer Distanz zu den historischen Ereignissen könnten die Autor_innen der zweiten Generation die neue, ‚frischere’ Form der Komödie erarbeiten, um die Erinnerung an den Holocaust aus einer neuen Perspektive zu betrachten und sich kritisch gegenüber den traditionell akzeptierten Erinnerungsstrategien zu positionieren.

 

Die Kritik an den Konventionen der Repräsentation steht auch im Zentrum der Beiträge von Annika Wienert, Véronique Sina und Nina Heindl. Spezifisch geht es in Wienerts Text um die Gaskammer als Thema der bildenden Kunst – ein Thema, das zwar zentral in der Vernichtung der Juden war, aber nie eine große Rolle in ihrer Repräsentation spielte. Die Autorin bietet in ihrer Analyse einen tieferen Blick in das Paradox der Vermittlung des Holocausts an: Es wird immerzu nach Authentizität gefragt, gleichzeitig jedoch die Unmöglichkeit einer ‚realen’ Darstellung betont. Man suche nach einer Balance zwischen den beiden, dessen Grenze wird aber nur durch neue Repräsentationen exploriert, in denen sich die Künstler_innen als Gegenpunkt zu den akzeptierten Darstellungsweisen sehen und diese kritisch reflektieren.

 

Mit Eva Hohenbergers Beitrag wird das Thema der Selbstreflexivität der Repräsentation durch die sorgfältige Analyse der Verwendung von Lagerfotografien untersucht. Sie entwickelt den produktiven Begriff der „sekundären Gedächtnisbilder“, d.h. Bilder, die „nicht an das erinnern, was auf ihnen abgebildet ist, sondern im Gegenteil genau an das erinnern sollen, was auf ihnen fehlt, und sie daher primär daran erinnern, dass erinnert werden soll“ (s. 53). Im Gegensatz zu vergangenen „Generationen“ der Lagerfotografien, nämlich die der Opfer, der Täter oder der Befreier, stellen diese Bilder die Lager als ‚menschenleere’ Gedenkstätten dar und sind als Postkarten in den KZs oder auf deren Websites dem Publikum zugänglich. Diese Aufnahmen der KZs bilden die Lager als Orte der nationalsozialistischen Gräueltaten mittels symbolischer Zeichen ab, zeigen z.B. Stacheldraht, Wachtürme, oder den leeren Raum der heutigen Gedenkstätten ohne weiteren Inhalt. Durch ihren Beitrag erklärt Hohenberger erfolgreich die Haltungen gegenüber solchen Bildern, die einerseits als metaphorische Abbildungen der Abwesenheit der Opfer und als Illustrationen der Spuren der Vergangenheit wahrgenommen werden können. Andererseits werden sie in ihrem symbolischen Charakter durch eine „Auratisierung“ (s. 63) geprägt und verlieren ihren spezifischen Vergangenheitsbezug, und können somit eben keine kritische Auseinandersetzung der Betrachter_innen mit dem Holocaust mehr erzeugen.

 

Eine ungewöhnliche Rolle der Betrachter_innen ist zentral in Katja Grashöfers Beitrag über die Darstellungen des Holocausts im Web 2.0. Durch Facebook, Youtube u.ä. können die Betrachter_innen durch Kommentare und likes unvermittelt an Praktiken des Gedenkens teilnehmen und dadurch direkt zu einem Teil der Erinnerungserfahrung werden. Grashöfer setzt sich kritisch mit der Debatte über digital memory auseinander und lehnt die These ab, dass die neuen Medien das Ende kollektiver Erinnerung verursachen. Im Gegensatz dazu entwickelt sie eine konstruktive Perspektive und projiziert das Thema des Sammelbandes in die Zukunft, indem sie neue analytische Begriffe für eine bessere Untersuchung der neuen medialen Darstellungsweisen fordert. Das Web betrachtet sie als Mittel für neue Repräsentationsmöglichkeiten, wo viele verschiedene Geschichten zusammengebracht und kommentiert werden können, seien sie persönlich oder kollektiv, alt oder neu. Die Erinnerungsgemeinschaften, die im Internet bestehen, sind „heterogen“ (s. 202) und verändern sich stetig in Form und Komponenten, jedoch interagieren sie mit immer vorhandenen Vergangenheitserfahrungen in einem Netz, das als dauerhaftes und wechselwirkendes Archiv bedient. Auf diese Weise ermöglicht das Web originelle Zugänge zum Gedächtnis und neuartige Wahrnehmungsmöglichkeiten.

 

Insgesamt zeichnet der Sammelband mit großer Kohärenz interdisziplinäre Positionen der Debatte über die Darstellung des Holocausts nach. Mit Bezug auf die wichtigsten Begriffe im Rahmen der memory studies gehen die Beiträge den Veränderungen der Darstellungsweisen nach, die in Zeiten des postmemory neue Formen finden. Das Thema der ‚notwendigen Unzulänglichkeit‘ wird von seiner Prämisse in der Literaturwissenschaft, durch seine Thematisierung in Filmen, Fotografien, Comics und Kunstinstallationen bis neuesten Implikationen im Internet erfolgreich untersucht. Anerkennenswert ist die Perspektive, diese Kombination zwischen Notwendigkeit der Repräsentation und Undarstellbarkeit als produktives Spannungsverhältnis wiederzuentdecken, durch das die neuen Darstellungsformen nicht nur über den Holocaust, sondern zudem über sich selbst als Vermittlungen reflektieren. Die Deutlichkeit und thematische Stringenz der Texte machen das Buch sowohl relevant für Wissenschaftler_innen, die eine transmediale Perspektive über das Thema und neue Ausgangpunkte für kritische Reflexionen suchen, als auch zugänglich für eine breitere interessierte Leser_innenschaft.

 

English Abstract

Depicting the Holocaust through Self-Reflexive Forms of Representation. An Interdisciplinary Perspective.

The debate concerning how to sufficiently depict the Holocaust has never lost its popularity. On the contrary, it continuously emerges in the context of new ways of representation and new media. The volume Notwendige Unzulänglichkeit (‘Necessary Inadequacy’), edited by Nina Heindl and Véronique Sina, is composed of eleven interdisciplinary, yet very coherent contributions. They aim at analyzing Holocaust portrayals in art, literature and new media through the lens of the tension between the need for a re-elaboration of the past and the inadequacy of grasping the Shoah in its totality. The authors focus on the self-reflexive charge of the new forms of representation that are not limited to conveying the Holocaust, but critically reflect on the conventions of traditional representations.

 

 

Copyright 2018, SILVIA CASAZZA. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).