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FLINTA nach vorn! Deutschpunk und sein Sexismus-Problem

 

A Review by Justus Grebe (Justus.Grebe@gcsc.uni-giessen.de; https://orcid.org/0000-0002-5218-2630)

International Graduate Centre for the Study of Culture (Giessen)

 

Ringelsiep, Diana und Ronja Schwikowski (Hg.). Punk as F*ck. Die Szene aus FLINTA-Perspektive. Mainz: Ventil, 2022. 448 Seiten, 24,00 EUR. ISBN: 978-3-95575-187-6.

 

Abstract

Deutschpunk hat ein Sexismus-Problem. Männer spielen in den Bands, Männer pogen vor den Bühnen und Männer verüben bei Punk-Konzerten und darüber hinaus sexuelle Übergriffe auf die anwesenden nicht-männlichen Punx. Mit ihrem Sammelband Punk as F*ck wollen die Herausgeberinnen Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski dem etwas entgegensetzen – nämlich 50 nicht-männliche Perspektiven auf die deutsche Punk-Szene. Das Ergebnis ist eine Sammlung von 50 so aufrüttelnden wie aufschlussreichen und so relevanten wie lesenswerten Texten.

 

Review

„‚Du, wir können doch gute Freunde bleiben‘, hat sie zu mir gesagt / Darauf hätte ich ihr am liebsten eine Kugel durch den Kopf gejagt.“ Dies sind die ersten Zeilen im Refrain des Songs „Gute Freunde“ der Deutschpunk-Band WIZO (auf: Für’n Arsch. Voerde: Hulk Räckorz 1991) – und es sind einige der ersten Zeilen eines Punk-Songs, die ich als 15-jähriger Junge auswendig lernte. Denn ich liebte Punkrock und ich liebte dieses Lied. Es öffnete mir eine Welt, indem es tausende Fragen aufwarf. Etwa: „Wird meine Beziehung ähnlich enden?“ (Antwort: ja); oder: „Was ist der erste Akkord im Refrain?“ (Antwort: A-Dur). Nur eine Frage stellte sich mir nie: Was sagt eigentlich die besungene Frau zu den brutalen Gewaltfantasien ihres Ex-Partners?


Dass sich mir diese Frage nicht stellte, ist symptomatisch für die Punk-Szene. Deutschpunk hat ein Sexismus-Problem: Tonangebend sind vor allem cis-Männer, wohingegen die Perspektiven von FLINTA ignoriert werden. Das Akronym FLINTA steht für Frauen, Lesben, Inter-, non-binäre, Trans- und Agender-Personen – also kurz all diejenigen Menschen, die nicht bei Geburt zu Jungen erklärt wurden und dabei geblieben sind (diese nennt man demgegenüber cis-männlich). Dem Punk-Patriarchat haben Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski den Kampf angesagt und den Sammelband Punk as F*ck. Die Szene aus FLINTA-Perspektive veröffentlicht. Beide Herausgeberinnen sind seit Jugendtagen Punx und beschäftigen sich seit Jahren in Beiträgen, Vorträgen und der Initiative #punktoo mit dem Sexismus in der Szene. In ihrem Sammelband sollen nun jene zu Wort kommen, die sich nur selten äußern: FLINTA-Punx. Der Band umfasst 50 sehr unterschiedliche Beiträge zu verschiedensten Themen aus verschiedenen Perspektiven: von persönlichen Erlebnisberichten über Interviews bis zum politischen Essay. Zwar zieht sich die Beschäftigung mit Sexismus wie ein roter Faden durch das Buch, aber es geht auch um Themen wie Mode, Krankheit, Behinderung, politische Arbeit, Tour- und Konzertalltag, Ernährung oder Geburt. Trotz dieser Vielfalt lassen sich drei große Linien in den Beiträgen ausmachen: Ausschlüsse, Gewalt und Hoffnung.


Ausschlüsse von FLINTA aus der deutschen Punk-Szene gibt es viele. So stellen cis-Männer immer wieder die Kompetenz von FLINTA-Punx in Frage: Seien es Bands, die die weibliche Tontechnikerin ignorieren, weil neben ihr ein Mann steht (z.B. Schlossi, S. 92), oder auch ungebetene Tipps zum Verhalten auf der Bühne (z.B. Mia, S. 185). Besonders häufig schildern die Autor_innen Situationen, in denen cis-männliche Punx ein Band-Shirt als Aufforderung nahmen, das Wissen über diese Band abzuprüfen. In all diesen Fällen wurde die betroffene FLINTA-Person nicht als Punk akzeptiert, sondern musste das eigene Punk-Sein erst unter Beweis stellen. Diese männliche Dominanz führt außerdem zu einem Mangel an FLINTA-Vorbildern – schließlich stehen nach wie vor hauptsächlich Männer auf den Punk-Bühnen. Es sind jedoch nicht nur sexistische Exklusionspraktiken, die in dem Band beleuchtet werden. Viel mehr sind die Autor_innen einem intersektionalen Verständnis von Diskriminierung verpflichtet und thematisieren beispielsweise auch Queerfeindlichkeit und Ableismus in der Punk-Szene.


Eine zweite Linie, die sich mit der Linie der Ausschlüsse kreuzt, ist die Gewalt. Diese tritt in den Beiträgen vor allem und immer wieder als sexualisierte Gewalt auf: mal in der Form ungebetener, unangebrachter und übergriffiger Einladungen zum Sex (z.B. Victoria, S. 264), mal als tätlicher sexualisierter Übergriff durch das Öffnen der Kleidung der betroffenen Person (z.B. Mary, S. 236). Auch Vergewaltigungen teils minderjähriger FLINTA-Punx durch volljährige cis-Männer aus der Szene werden wiederholt geschildert – beispielsweise von Veronika Kracher. Ebenfalls sehr eindrücklich ist die Geschichte der Sängerin und Künstlerin Patti Pattex, die unter anderem von der körperlichen und psychischen Gewalt berichtet, die ein Stalker ihr jahrelang antat. Zur sexualisierten Gewalt, die von cis-Männern gezielt an FLINTA verübt wird, treten andere Formen von Gewalt innerhalb der Szene wie Schlägereien beim Pogo. Außerdem schildern verschiedene Autor_innen Gewalt von außerhalb der Szene, beispielsweise durch Nazis oder die Polizei, die sich nicht gezielt gegen FLINTA, aber gezielt gegen Punx richtet.


Doch auch wenn Ausschlüsse und Gewalt allgegenwärtiger Bestandteil der deutschen Punkszene zu sein scheinen, zieht sich als dritte Linie die Hoffnung auf eine bessere Szene durch viele Beiträge des Bandes. Dies zeigt sich bereits darin, dass die meisten der Autor_innen noch immer in der Szene aktiv sind – unter anderem als Sänger_innen, Booker_innen, Tontechniker_innen, Fanzine-Macher_innen oder schlicht Konzertgänger_innen. Trotz des verbreiteten Sexismus halten sie dem Punk oft seit Jahrzehnten die Treue. Hier zeigt sich die Hoffnung auf eine solidarischere und inklusivere Deutschpunk-Szene. Eine Szene, die es nicht nur mit dem Kampf gegen Nazis, Polizei und Staat ernst meint, sondern auch mit dem Kampf gegen Sexismus, Heteronormativität und allen anderen Formen von Diskriminierung in den eigenen Reihen.


Punk as F*ck ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer solchen besseren Szene. Hier versammelt sind nicht nur 50 spannende, lesenswerte und aufschlussreiche Texte, sondern auch 50 Vorbilder für junge FLINTA-Punx (aber auch für cis-Männer, die Rollenklischees überwinden wollen). Es ist ein Verdienst des Bandes, diesen Perspektiven den Raum zu geben, den sie in der deutschen Punk-Szene viel zu selten haben. Und so ist es gleichzeitig ein erfrischender Blick auf eine inzwischen seit über vier Dekaden bestehende „Jugend“-Kultur, der viele neue, wichtige Fragen aufwirft – zum Beispiel, was die Besungene im eingangs zitierten Punksong eigentlich zu den Gewaltfantasien ihres Ex-Partners zu sagen hat.

 

English Abstract

FLINTA to the Front! German Punk and Its Problem with Sexism

The German punk scene has a problem with sexism. Men play in the bands, men slam-dance in front of the stages and men sexually assault the non-male punx at punk shows and beyond. With their anthology Punk as F*ck, punx-turned-editors Diana Ringelsiep and Ronja Schwikowski want to set something against this – namely 50 non-male perspectives on the German punk scene. The outcome is a compilation of 50 texts that are as shocking as they are insightful and as relevant as they are worth reading.

 

Copyright 2023, JUSTUS GREBE. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).