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Die Theorie der Neuen Linken im Spiegelbild ihrer Zeitschriften

 

A Review by Allyn Maxwell Heath (Allyn.Heath@uni-siegen.de)

Universität Siegen / SFB 1472 „Transformationen des Populären“

 

Neuffer, Moritz. Die journalistische Form der Theorie. Die Zeitschrift „alternative“ 1958–1982. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 415 Seiten, 36,00 EUR. ISBN: 978-3-8353-5010-6.

 

Abstract

In seinem Beitrag zu Medien- und Intellektuellengeschichte der Neuen Linken in der BRD zeigt Moritz Neuffer die Rolle von journalistischen Formen in der Rezeption und Produktion von Theorie am Beispiel der Zeitschrift alternative auf. Ein Verdienst der Arbeit Neuffers ist seine Bemühung, stets die Rolle der Akteur_innen und den gesellschaftlichen Kontext im Blick zu behalten.

 

Review

Mit seiner zunächst als Promotionsschrift am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung eingereichten Monografie knüpft Moritz Neuffer, Historiker und Kulturwissenschaftler, an manchen hervorragenden Publikationen aus der Medien- und Intellektuellengeschichte der letzten Jahre an. Wie Philip Felschs Der Lange Sommer der Theorie (Frankfurt am Main 2016), bietet Neuffers Die journalistische Form der Theorie. Die Zeitschrift „alternative“ 1958–1982 eine exemplarische Geschichte, deren Entwicklung unentwirrbar mit der Mediengeschichte zusammenhängt. Seine in sechs Kapitel aufgeteilte Schilderung der „alternative im Zentrum einer Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Theoriebildung und Zeitschriftenpublizistik um ‚68‘“ stellt die Zeitschrift als „Akteurin und Chronistin“ politischer Bewegungen dar (S. 10). Dass die Schrift die Entstehung der Neuen Linken in den späten 1950er Jahren sowie das „rote Jahrzehnt“ 1967–1977 überdauerte, bezeugt ihre langjährige Wirkungskraft (S. 10).


Aus den Zeitschriften Lyrische Blätter und Visum ging 1958 alternative hervor. Zunächst trug sie den Untertitel Blätter für Lyrik und Prosa, ab 1961 Zeitschrift für Dichtung und Diskussion. Der neue Untertitel weist auf die Wandlung der theoretischen und politischen Tendenzen der Zeitschrift hin, die nach der redaktionellen Übernahme Hildegard Brenners 1964 Konturen annahmen (S. 92). Das Selbstverständnis der Zeitschrift bildete sich ebenso in dieser Zeit aus. Als eine unabhängige marxistische Publikation zwischen realem autokratischem Sozialismus und enttäuschender Sozialdemokratie der SPD (Godesberger Programm 1959) schlug alternative einen alternativen Weg ein, der die Theorie als Voraussetzung zur Umwälzung bestehender materieller Bedingungen sah. Der Anspruch sollte, mit wenigen Aufenthalten in anderen thematischen Feldern, als Leitfaden bis zur Einstellung 1982 dienen. Entlang der inhaltlichen Auseinandersetzung der Schrift skizziert Neuffer die Entwicklungen der deutschen Neuen Linken, vor allem ihre Verwicklungen mit der eigenen Geschichte, aber auch mit internationalen linken Strömungen.


Die Feststellung, dass die Zeitschrift sowohl Akteurin also auch Chronistin ihrer Zeit war, führt Neuffer zu seiner grundlegenden These: „Zeitschriften lassen sich nicht nur in ihrer Zeit und entlang ihrer Dauer beschreiben, sondern darüber hinaus als Medien mit Eigenzeiten, die die Genese von Wissen, Theorien und Ideen strukturieren, rhythmisieren und begrenzen“ (S. 38). Neuffer stellt fest: in ihren verschiedenen Formaten (Interviews, Rezensionen, und Dokumentationen) geben Zeitschriften neuestes theoretisches Gedankengut wieder und entwickeln es weiter. Damit befinden sie sich an einer sonderbaren Schnittstelle zwischen Theorievermittlung und Theorieproduktion (S. 156). Zudem würden diese Formen den intellektuellen Zugang zu oftmals äußerst schwierigen theoretischen Feldern erleichtern und somit den diskursiven Horizont erweitern. Außerdem bezieht Neuffer in seiner Monographie „Theoriegeschichte, Lebensgeschichte und Zeitgeschichte aufeinander“ (S. 348). So entsteht ein dynamisches Geflecht, das zwar die Handlungen einzeln beleuchtet, diese aber stets in einen größeren Rahmen setzt.


In einer Auseinandersetzung mit der marxistischen Tradition von Karl Korsch unterstrich die Zeitschrift die gesellschaftliche Rolle der Theorie und legitimierte damit ihr publizistisches Vorhaben (S. 116). Am Beispiel der ‚Benjamin-Kontroverse‘, die feuilletonistische Austragung über den Umgang mit Walther Benjamins Nachlass durch das Institut für Sozialforschung, zeigt Neuffer pointiert, wie eine Zeitschrift einen Diskurs in der Öffentlichkeit anstoßen und lenken konnte. Der Streit im Argument, im Merkur und in der alternative zeigt die „Wirkweisen und die Bedeutung von Zeitschriftenpublizistik in der Geschichte der intellektuellen Öffentlichkeiten“ (S. 198). Inwiefern der Vorwurf Theodor Adornos (Mitgründer des Instituts) zutrifft, dass die Zeitschrift sich in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem ISF nur profilieren wollte, beantwortet Neuffer nicht. Dennoch stellt er fest: die Verkaufszahlen erreichten in der Folgezeit ihren Zenit. Zwischen 1970 und 1975 kam die Zeitschrift auf eine Auflagenhöhe von 10 000 Exemplaren (S. 201).


Im Gegensatz zu bspw. David Bebnowskis fast gleichzeitig erschienener Studie der Zeitschriften Argument und PROKLA und ihre Verstrickungen in der zeitgenössischen linken Politik (Kämpfe mit Marx. Neue Linke und akademischer Marxismus in den Zeitschriften „Das Argument“ und „PROKLA“ 1959–1976. Göttingen 2021) untersucht Neuffer, wie die jeweiligen journalistischen Formen zur Rezeption der Theorie in der BRD sowie zur eigenen Theorieproduktion beigetragen haben. Die schnelle Theorierezeption war ein Spezifikum des Formats, denn „die Darstellung des Diskussionsstandes auf Höhe der Zeit in der BRD um 1968 [war] nur von Zeitschriften zu leisten“ (S. 159). Theorieproduktion diente einerseits der Hervorhebung des eigenen politischen Profils, insbesondere in der wachsenden linken Publizistik, andererseits der Legitimation der eigenen Existenz auf dem publizistischen Feld (S. 41, 219).


Die Repressionen, Verdrossenheit und Zersplitterung, die den Beigeschmack der 68er ausmachten, trübten allzu bald die Erfolge und stellten die Relevanz einer theorie-orientierten Zeitschrift für den gesellschaftlichen Kontext in Frage. Die alternative, wie alle links-unabhängigen Projekte, musste ihre Existenz vor einer sich verschiebenden politischen Landschaft rechtfertigen und sich dem Wandel anpassen. Obwohl eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Feminismus („Das Lächeln der Medusa“, alternative 108/109, 1976) die tendenziell sinkenden Verkaufszahlen für eine kurze Zeit wieder in die Höhe trieb, war ihr letztendlicher Rückgang nicht aufzuhalten.


Durch die Zusammenführung individueller Lebens-, Ideen- und Mediengeschichte erzielt Neuffer mit dem vorliegenden Band eine durchaus lehrreiche und unterhaltsame Lektüre, die die Verknüpfungen linker Publizistik greifbar macht. Der Fokus auf das Format zeigt auf, wie Theorien zwischen verschiedenen Publikationsorten, Ländern und Bewegungen zirkulieren, sich gegenseitig beeinflussen und befruchten. Gerade in der Aufdeckung von Distributionswegen von Wissen sticht Neuffers Monografie heraus, denn Medien (Zeitung, Zeitschrift, Taschenbuch, etc.) wurden in ihren Eigenschaften als Wissensträger bis dato nur wenig beleuchtet. Abgesehen von einzelnen falschen Hinweisen auf Abbildungen gibt es an diesem Band nichts zu beanstanden.

 

English Abstract

The New Left’s Theory and its Medial Representation

In his contribution to media and intellectual history in the West-German New Left, Moritz Neuffer gives insight into the role of journalistic forms in the reception and production of theory with the example of the magazine alternative. In particular, his work profits from its continuous effort to keep the societal context and the role of actors in view.

 

Copyright 2022, ALLYN HEATH. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).