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Sprüche mit Bildern: Memes als gesellschaftliches Phänomen online und offline 

 

A Review by Anne Braune-Vásquez (Anne.Braune-Vasquez@fh-dortmund.de)

Eberhard Karls Universität Tübingen / Fachhochschule Dortmund

 

Nowotny, Joanna und Julian Reidy. Memes. Formen und Folgen eines Internetphänomens. Bielefeld: transcript Verlag, 2022. 260 Seiten, 25,00 EUR/ 0,00 EUR. ISBN: 978-3-8376-6124-8.

 

Abstract

Joanna Nowotny und Julian Reidy leisten mit ihrem Buch Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens einen kulturwissenschaftlichen Beitrag zu dem noch recht wenig erforschten Feld der Memes und zeigen, wie vielfältig und gesellschaftlich relevant das Themenfeld ist. Die Autor_innen analysieren umfassend eine Vielzahl an Beispielen und machen so deutlich, dass Memes sehr viel mehr sind als lustige Bilder mit Text.

 

Review

Rick Astley, ein Comic-Frosch und Bernie Sanders: Diese Aufzählung klingt wie der Beginn eines schlechten Witzes, ist jedoch ein grundlegender Teil der Meme-Kultur. Die drei Beispiele verweisen auf berühmte Memes und darauf, dass man Teil der Subkultur sein muss, um die Anspielungen zu verstehen. Mit Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens bieten die Literaturwissenschaftler_innen Joanna Nowotny und Julian Reidy einen breiten kulturwissenschaftlichen Überblick über eben jenes Phänomen: Memes, diese oft lustigen Bild-Text-Paare, die auf den ersten Blick vollkommen harmlos erscheinen. Das Buch zielt ab auf ein wissenschaftliches Fachpublikum, ist aber auch für interessierte Laien absolut empfehlenswert. Die Sprache des Buchs ist mehrheitlich klar und gut verständlich, dank der in den Textfluss eingewobenen Zitate und einer deutlichen Argumentationsstruktur. Dabei greifen die Autor_innen meist zu englischsprachigen Zitaten (und zeigen so eine Forschungslücke auf, zumindest im deutschsprachigen Raum). In sieben Kapiteln analysieren Nowotny und Reidy die unterschiedlichen Aspekte von Memes und beleuchten — mal in der direkten Analyse, mal auf ein größeres Phänomen blickend — die digitalen und gesellschaftlichen Diskurse, in denen Memes eine Rolle spielen. Spoiler: Es sind fast alle.


Die Autor_innen leiten ein mit der „Kultur der Digitalität“ (S. 8), in der wir leben und in der Memes stattfinden. Dem Begriff folgend erklären die Autor_innen, dass die vermeintliche Lücke zwischen realem und online stattfindenden Leben nicht existiert. Sie erläutern, dass Memes durch ihre „Modularität, Modifizierbarkeit, Archivierbarkeit und [...] Erreichbarkeit“ (S. 11) bedingt sind, was potenziell allen Internetnutzer_innen die Partizipation ermöglicht. Die Praxis der Bearbeitung und Verbreitung von Memes fassen Nowotny und Reidy unter dem Begriff der Memesis zusammen.


Im zweiten Kapitel gehen Nowotny und Reidy näher auf die Nutzer_innen von Memes ein, die sie als westlich (vor allem US-amerikanisch), weiß und männlich beschreiben. Unter den Nutzer_innen gibt es lokale Gruppen, wobei die Lokalität nicht räumlich bedingt ist, sondern durch die geteilten Plattformen. Diese In-Groups folgen eigenen bildlichen und medialen Diskursen. Da Memes semiotisch offen sind, muss man Teil der entsprechenden In-Group sein, um sie zu entschlüsseln. Durch die oben erwähnte Modifizierbarkeit von Meme-Vorlagen gibt es in dem Sinne kein Original; vielmehr herrscht eine „kollektive Autor*innenschaft“ (S. 46). Diese globale Verbundenheit und die Rolle der In-Groups sind entscheidend. Beide Aspekte werden im Kapitel deutlich herausgearbeitet.


Im dritten Kapitel argumentieren Nowotny und Reidy für eine humortheoretische Dreiteilung von Memes: Es gibt einen ursprünglichen Witz, der den Rahmen festlegt, dem folgen der Para-Witz, der intertextuell auf seinen Ursprung verweist, und zuletzt der Meta-Witz, der die zuvor aufgebaute Erwartung bricht. Zudem betrachten sie Humor als Machtinstrument, da Memes mehrheitlich konservativen Humor reproduzieren würden. Unter dem Deckmantel von Humor bzw. Ironie könnten zudem kritische oder sogar extremistische Ansichten verbreitet werden. Dabei sei immer die praktische Ausrede parat: Es war doch nur ein Witz. Gleichzeitig weisen die Autor_innen auch auf Studien hin, die (in diesem Fall feministische) Memes als ein aktivistisches Werkzeug betrachten. Die ausgewählten Beispiele machen erneut die Vielschichtigkeit der Verwendung von Memes deutlich. Auch die Parallelen zur Humortheorie sind interessant und verständlich.


Der Zusammenhang von Memes mit Politik wird im vierten Kapitel diskutiert. So sind Memes ein Werkzeug zur politischen Partizipation, können aber gleichzeitig eine exkludierende Wirkung haben. Als ‚memetisches‘ Phänomen werden beispielhaft Captain America und Pepe the Frog besprochen. Beide, Captain America als Prototyp des patriotischen Superhelden und Pepe, der Comic-Frosch, wurden als Memes appropriiert. Hier möchte ich besonders Pepe hervorheben, der als Comicfigur von incels und der Neuen Rechten — erst in den USA und dann weltweit — als Maskottchen genutzt wird. Das Beispiel zeigt eindrücklich eine der möglichen Gefahren von Memes: Die ursprüngliche Autor_innenabsicht ist verloren gegangen und eine Reappropriation wird schwierig bis unmöglich (wie im Dokumentarfilm Feels Good Man (Arthur Jones, 2020, US: Ready Fictions, 92 min.) zu sehen, der den Erfinder von Pepe bei dem Versuch begleitet, die Kontrolle über seine Figur zurückzugewinnen). Die Analyse beider Figuren als Phänomen ist umfassend, im Fall von Captain America ist sie etwas zu lang geraten. Da die Figur des Captain America ursprünglich stark politisch und moralisch aufgeladen ist, liegt meines Erachtens die memetische Nutzung nahe. Der Fall von Pepe the Frog zeigt hingegen erfolgreich die scheinbar wahllose Auswahl von Meme-Motiven.


Das fünfte Kapitel sammelt die bisherigen Erkenntnisse und ordnet sie vor dem Hintergrund des Kulturbegriffs ein, dabei verzichten die Autor_innen sinnvollerweise auf die Unterteilung von Hoch- und Massenkultur. Mehrere Aspekte werden erneut aufgegriffen, darunter die Diskussion um hegemoniale Machtstrukturen und darum, dass die vermehrte Verbreitung und Normalisierung von Memes auch eine vermehrte Verbreitung von extremistischen Ansichten bedeutet. Eine neue Richtung im Diskurs um Memes schlagen Nowotny und Reidy mit ihrem Vergleich von Folklore und Memes ein. Sie weisen jedoch darauf hin, dass Memes wesentlich freier weiterentwickelt werden als folkloristische Erzählungen. Das Kapitel zurrt die Argumentation zusammen und zeigt die Verbindungen zwischen den bisherigen Erkenntnissen auf.


Im sechsten Kapitel werden Memes unter dem Begriff Kanonisierung zusammengefasst: Nowotny und Reidy begreifen sie als Teil eines kulturellen „Korpus von Sinneinheiten“ (S. 183). Weiter gehen sie auf das trolling ein, mittlerweile ein sehr verbreitetes online Phänomen. Das trolling wird hier aus zwei Richtungen betrachtet: Einmal mit dem Ziel, den Diskurs zu stören und einmal als „Verteidigung einer herrschenden Ordnung“ (S. 197). Diese Zweiteilung ist wichtig, da das letztere Ziel schnell übersehen wird. Als erstes Beispiel nennen Nowotny und Reidy den Psychologieprofessor Jordan Peterson, der durch seine in einem Interview vorgetragene stark konservative und ins Absurde abdriftende Interpretation von empirischen Fakten selbst zum Meme wurde, zusammen mit der Moderatorin Cathy Newman. Screenshots aus dem Interview wurden als Vorlage für Memes genutzt, die jedoch Newman ins Lächerliche ziehen. Peterson unterstützt das durch seinen Gesichtsausdruck. Als weiteres Fallbeispiel besprechen Nowotny und Reidy das Buch Bot. Gespräch ohne Autor (Clemens J. Setz, hrsg. von Angelika Klammer, Berlin 2018). Dabei handelt es sich um ein von Angelika Klammer geführtes Interview für das sie allerdings nicht Clemens Setz selbst befragt hat, sondern eine Textdatei mit seinen Notizen nach passenden Antworten durchsucht hat. Nowotny und Reidy merken an, dass dieses Fallbeispiel „am weitesten weg vom ‚klassischen‘ Meme“ (S. 219) ist. Ob es sich hierbei überhaupt um ein Meme handelt, müsste ausführlicher diskutiert werden. Das Beispiel eröffnet jedoch — am Ende des Buches — eine neue Diskussion um die Weite des Meme-Begriffs, die die vorgelegte Analyse aus meiner Sicht eher verwässert, statt weitere Erkenntnisse zu liefern.


Insgesamt zeigen Joanna Nowotny und Julian Reidy anhand einer Vielzahl von Fallbeispielen, wie weitläufig und relevant das Themenfeld der Memes ist, und dass dies nicht auf ein bloßes Internetphänomen zu reduzieren ist. Die Lektüre macht klar, dass Memes in fast jeden Lebensbereich hineinwirken. Nowotny und Reidy verdeutlichen die Vielfalt des Phänomens Meme, dass es inkludierend und exkludierend wirken, witzig und gefährlich sein kann. Und sie zeigen, dass auch wir ‚Normies‘ uns wenigstens ein bisschen mit Memes beschäftigen sollten. 


English Abstract

Phrases with Images: Memes as a Social Phenomenon Online and Offline

With their book Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens, Joanna Nowotny and Julian Reidy offer an insightful contribution to the still relatively little researched field of memes in cultural studies. Their study illustrates how diverse and socially relevant the subject area is. The authors extensively analyze a variety of examples, thereby demonstrating that memes are much more than funny images with text.

 

 

Copyright 2022, ANNE BRAUNE-VÁSQUEZ. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).