Return to Article Details Material Culture Research: The Object as Neglected Source in the Historiographical Discourse
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Materielle Kulturforschung: Das als Quelle vernachlässigte Objekt im geschichtswissenschaftlichen Diskurs

 

Eine Rezension von Cathérine Annette Ludwig-Ockenfels (Catherine.ludwig-ockenfels@gcsc.uni-giessen.de)

International Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)

 

Cremer, Anette Caroline; Mulsow, Martin (Hg.): Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung (Ding, Materialität, Geschichte, Bd.2) Köln: Böhlau Verlag 2017. 352 Seiten, 50 EUR. ISBN: 978-3-412-50731-2.

 

Abstract

Der Sammelband Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, herausgegeben von Annette C. Cremer und Martin Mulsow, gibt einen Überblick über das Potential des material turns als Methode für die geschichtswissenschaftliche Erforschung der Frühen Neuzeit. Die verschiedenen medialen Erkenntnisverfahren in der Auseinandersetzung mit Objekten bei der Produktion von Wissen werden in epochenübergreifenden Fallbeispielen veranschaulicht. Die interdisziplinäre Veröffentlichung ist sowohl ein geeigneter Einstieg, als auch ein Anstoß für weitere Diskussionen um die Bedeutung der Objektforschung in der deutschen Geschichtswissenschaft.

 

 

Rezension

Dieser Sammelband ist aus einer Tagungskooperation zwischen dem Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt (FZG) und dem Graduate Centre for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen (GCSC) entstanden. Das Doppeltagungsprojekt mit unterschiedlichem Epochenfokus (FZG: Frühe Neuzeit; GCSC: 19.-21. Jahrhundert) warf dabei einen Blick auf den Erkenntnisgewinn durch Berücksichtigung der „vermeintlich neuen Perspektive der material culture research“ (S. 7) in Deutschland, der Band selbst konzentriert sich auf Beispiele des 16. bis 18. Jahrhunderts. Es ist wahrscheinlich der ursprünglichen Ausrichtung der Doppeltagung geschuldet, dass es trotz der Schwerpunktsetzung auf der Frühen Neuzeit einzelne epochenübergreifende Fallbeispiele gibt, was jedoch einen Mehrwert bedeutet.

 

Die Mitherausgeberin Annette C. Cremer gibt zunächst einen fundierten Einblick in den Forschungsstand und steckt die Ziele und Beiträge dieses Bandes ab. Sie weist auf das schwierige Verhältnis besonders der Geschichtswissenschaft zum Objekt als Quellenart hin, obwohl dies an sich in der dem Fach zugrundeliegenden Methodik nicht ausgeschlossen sei. Der Objektbegriff wird von ihr klar definiert und im Fächerkanon verortet. Dabei plädiert sie für den Terminus des „Prismas“ zur Verdeutlichung des multifokalen Zugangs, da so „[…] Objekte also nicht nur als Ausgangspunkt oder Illustration einer Erzählung, sondern in wechselnder Fokussierung zugleich als Thema, Quelle und Argument“ (S. 19) dienen können. Ziel des Sammelbands sei es, die „Doppelung und das Ineinandergreifen der Repräsentation und der Herstellung des Repräsentierten“ (S. 23) aufzuzeigen. So soll der mannigfaltige Quellenwert von (historischen) Objekten in den Geschichtswissenschaften, hier besonders in der Frühneuzeitforschung, mittels der Beiträge aus Kunstgeschichte, Archäologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft verdeutlicht werden.

 

Die Beiträge sind in fünf Unterkapiteln nach dem methodischen Ansatz sortiert, was einen schnellen Zugang zur Methodik ermöglicht. Zunächst setzen sich im Kapitel I „Geschichtswissenschaft und Objektforschung“ die Beiträge von Kim Siebenhüner und Hans Peter Hahn nochmals anhand von konkreten Anwendungsbeispielen mit dem Potential des Objektes als Quelle auseinander. Hahn untermauert die traditionelle Distanz innerhalb der Geschichtswissenschaft zur materiellen Kulturforschung aufgrund der traditionellen Fokussierung auf die Ideengeschichte. Annette C. Cremer führt die methodische Annäherung an Objekte mittels Text, Bilder, Objektquelle und Reenactement als Quellen der materiellen Kulturforschung vor. Unter der Prämisse einer „Mensch-Ding-Beziehung“ (S. 62) bestärken Siebenhüner, Hahn und Cremer den Mehrwert für die Frühneuzeitforschung bei einer ergänzenden Berücksichtigung von Objekten als Quelle zur „[…] Erforschung der Bedingungen und Hintergründe, deren Ausdruck oder Ergebnis das Objekt darstellt“ (S. 81).

 

Nach diesen grundlegenden methodischen Überlegungen, führen die folgenden Kapitel anhand von Fallstudien verschiedene Zugänge zum Objekt als Quelle vor. In Kapitel II „Objekt-Bild-Text“ wird in vier Beiträgen eine Einbettung des (historischen) Objekts in seine (zeitgenössischen) medialen Abdrücke als Grundlage materiellen kulturhistorischen Arbeitens vorgenommen. In Kapitel III „Objekt-Norm-Praxis-Diskurs“ wird die Bedeutung von Objekten beim Konsum für die zeitgenössische Debatte sozialer Normen verhandelt. In Kapitel IV „Objekte als Erkenntnisanlass und Erkenntnismedium“ wird der Impuls von Objekten in der Wissenschaft veranschaulicht. Die Beiträge sind insgesamt thematisch weit gestreut. Ariane Koller/Anna Pawlak und Stefan Laube setzen sich einmal anhand der Rüstung Karls V. und dem Püsterich mit dem medialen Abbild und den damit hervorgerufenen Diskursen auseinander. Anne Mariss und Silke Förschler zeigen wiederum die Verdinglichung von Tier- und Pflanzen durch Präparate auf, denn die Forschung wurde nicht am Gegenstand selbst, sondern vorrangig mittels der medialen Vermittlung von Objekten getätigt. Der Beitrag von Christof Jeggle zeigt mittels historischen Bildzeugnissen von Märkten der Stadt Nürnberg Interpretationsmöglichkeiten für die frühneuzeitliche Wirtschaftsgeschichte auf, dabei wird jedoch nach Meinung der Rezensentin der methodische Ansatz der Abbildung als Objekt nicht deutlich genug fokussiert. Gianenrico Bernascono und Patrizia Kotzauer zeigen anhand von (z.T. kuriosen) Luxusgegenständen im 18. Jahrhundert deren Impuls auf die sozialen Diskurse am Hof des adligen Sammlers auf. Paola von Wyss-Giacosa und Lisa Regazzoni führen anhand von im weitesten Sinne sakralen Objekten deren Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte als Erkenntnisträger auf. Dies setzen Britta Rabe und Martin Mulsow fort, die sich in ihren Beiträgen der Rolle des Objekts im numismatischen Wissensdiskurs zu Beginn und gegen Ende des 18. Jahrhunderts widmen.

 

Aufgrund seiner Länge mit dem „Umfang einer kleinen Monographie“ (S. 29) nimmt die Studie von Martin Mulsow als einzelner Beitrag des Kapitel V „Integrierte Objektforschung“ eine Sonderstellung ein. Da so jedoch ein methodisch umfangreich reflektiertes Anwendungsbeispiel zur Veranschaulichung des Erkenntnispotentials der materiellen Kulturforschung für die Geschichtswissenschaft vorliegt, ist der Umfang gerechtfertigt. Thematisch widmet sich Mulsow allerdings dem numismatischen Wissen um 1700. Diese historische Hilfswissenschaft ist jedoch traditionell an das Objekt als Forschungsgegenstand zu neuer Erkenntnisgenese gebunden, sodass das Potential der Objektforschung an einem ungewöhnlicheren Gegenstand nachdrücklicher hätte veranschaulicht werden können.

 

Die Beiträge zu bestimmten Objekten sind mit Abbildungen in guter Qualität versehen und veranschaulichen die verschiedenen zeitgenössischen Rezeptionsebenen, aufgelistet in einem Abbildungsverzeichnis am Ende des Werkes zu den jeweiligen Artikeln. Leider wurde auf ein Literaturverzeichnis zu den einzelnen Beiträgen verzichtet. Neben dem (Personen-) Register wäre eine gebündelte Gesamtbibliographie nach Meinung der Rezensentin nutzerfreundlich gewesen. Denn auch wenn das Objekt als Quelle im Fokus steht, wird das theoretische Grundlagenwerkzeug in Form von Texten erschlossen.

 

Der Band eignet sich für den Einstieg in die material culture research und zeigt mit seinen Beiträgen die Möglichkeiten, die sich bei einer dieser Nutzbarmachung in neuen Erkenntnissen in der Geschichtswissenschaft in Deutschland bereits spiegelt. Den Wunsch der Herausgeber nach einer interdisziplinären „Diskussion um den Status von Objekten als Quellen und eine Ausweitung des Quellenbegriffs“ dient diese Veröffentlichung mit ihren methodischen Reflektionen und Anwendungsbeispielen durchaus als Grundlage.

 

 

English Abstract

Material Culture Research: The Object as Neglected Source in the Historiographical Discourse

The anthology Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften: Stand und Perspektiven der Forschung, edited by Annette C. Cremer and Martin Mulsow gives an overview of research that uses the material turn as methodology in early modern history. The different ways of medial recognition of the object in the creation of knowledge are shown in cross-epochal examples. This interdisciplinary publication serves well as an introduction to the material turn, as well as a suggestion to further discuss its potential in the discipline of History in Germany.

 

 

Copyright 2019, CATHÈRINE LUDWIG-OCKENFELS. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).