Return to Article Details Jesus, Why Does the Body Matter? Connecting the Passion of Christ and Peruvian Transgender Women through the Body
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Jesus, why does the body matter? Der Körper als Bindeglied zwischen der Passion Christi und peruanischen Transgender-Frauen

A Review by Ana Marija Spasojević  (Ana.Spasojevic@gcsc.uni-giessen.de)
International Graduate Centre for the Study of Culture (Giessen)

Pahud de Mortanges, Elke: Bodies of Memory and Grace. Der Körper in den Erinnerungskulturen des Christentums. Zürich: Theologischer Verlag, 2022. 238 Seiten, 29,80 EUR. ISBN: 978-3-290-22062-4.


Abstract

Die Theologin Elke Pahud de Mortanges analysiert die Darstellung der Passion Jesu mit Blick auf Erinnerung, Körper und Identität. Gaby, eine Transgender-Person und inkonstanter Buch-Guide, führt uns sowohl durch die Erinnerungskultur des Christentums als auch durch ihre eigene Geschichte und die der LGBTQ-Community in Peru. Die Autorin eröffnet neue multidisziplinäre Perspektiven für die christlich orientierten Memory und Gender Studies sowie das Embodiment-Konzept der Gegenwart.

Review

Wenn wir auf das Titelbild des Buches Bodies of Memory and Grace. Der Körper in den Erinnerungskulturen des Christentums von Elke Pahud de Mortanges schauen, sehen wir eine Person in einem weißen BH und einem langen, bunten Rock auf einer weinroten Couch sitzen. Über ihrem Kopf ist eine überdimensionierte Dornenkrone gespannt. Sie strahlt mit ihrem Auftreten Weiblichkeit aus.

Die auf dem Titelbild abgebildete Person heißt Gaby und ist transgender. Sie leitet in die drei Hauptteile ein, indem zunächst sie selbst und ihre Bedeutung für das Buch vorgestellt werden. Gleich darauf taucht die Autorin in zahlreichen Unterkapiteln in die Geschichte der Passion Christi aus der Perspektive der Gender wie auch Memory Studies und der Kategorie Embodiment ein, womit Elke Pahud de Mortanges dessen Verkörperung meint. Die zunächst einzige sichtbare Verbindung zwischen Gaby und Jesus ist die Dornenkrone über Gabys Kopf. Dabei verwebt Pahud de Mortanges die Frage nach einer Neubewertung der erinnerten Gestalt Jesu, hinterfragt gleich zu Beginn dessen Männlichkeit und nutzt Gaby, um die Geschichte der Passion Christi zu erzählen. Während Jesus im offiziellen Gedächtniskanon ein Mann ist, fragt sich die Autorin, ob er nicht einem gewissen gender trouble – wie Judith Butler 1990 ihr berühmtes Buch betitelte – unterliegt (vgl. S. 18).

Elke Pahud de Mortanges diskutiert in ihrem Buch mit zahlreichen Bildbeispielen und Grafiken die Verbindung von Körperlichkeit, Verwundbarkeit und Identität und zeigt dabei auf faszinierende, manchmal aber auch befremdliche Weise den Zusammenhang von doing memory und doing gender auf. Was sofort auffällt, ist die Sprache, die die Autorin verwendet. Es ist eine bunte Mischung aus englischen Kapitelüberschriften und deutschen Unterkapiteln. Auch im Text wechselt sie zwischen Deutsch, Englisch, Latein und Spanisch, was den Lesefluss gelegentlich ins Stocken geraten lässt, die Verständlichkeit des Textes aber nicht beeinträchtigt. Als Basis für ihre weitere Untersuchung beschreibt sie im ersten Teil Grundlegendes zu Erinnerung, Körper und Verkörperung in zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskursen. Dabei verknüpft sie die wissenschaftlichen Diskurse der Gedächtnisforschung, der Gender Studies und der Embodiment-Theorie. Im zweiten Teil untersucht sie individuelle und kollektive Performances des Embodiments in christlichen Erinnerungskulturen sowie in der Kunst und fragt nach Konstruktionen und Performanzen von kollektivem Gedächtnis und religiöser Erinnerung. Was sich zunächst wie eine sprunghafte Abhandlung zwischen Vergangenheit und Gegenwart liest, entwickelt sich zu einer logisch aufgebauten Spurensuche nach der Vielfalt der Verkörperung und Performanz der Passion Christi durch die Jahrhunderte.

Sie versteht den Begriff der Erinnerung an die Passion als großen sozial bewegten Körper, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Passion im Hier und Jetzt zusammenfallen (vgl. S. 129). Ihre These besagt, dass der eigentliche Gedächtnisort des Christlichen und die Konstruktion christlicher Identität der Körper ist (vgl. S. 9). Dieser ist sowohl Ort der Erinnerung an die Passion Christi als auch Medium der Passion, durch das sich die Erinnerung vollzieht, denn „[d]as Christentum baut auf dem Verlust eines Körpers auf – dem Verlust des Körpers Jesu“ (S. 53). Jener Verlust ist nach Aussage der Autorin Produkt symbolischer Konstruktion, performativer Praktiken und kultureller Inszenierungen (vgl. S. 23). So werden Erinnerung und Identität auch durch Performanz geschaffen (vgl. S. 29, 184).

Um ihre Argumentation zu belegen, dass Erinnerung und die Passion Christi einerseits unweigerlich und über die Jahrhunderte hinweg miteinander verbunden sind und es andererseits verschiedene Ebenen der Verkörperung gibt, wählt die Autorin exemplarisch Personen aus den letzten Jahrhunderten, wie den Mystiker und Dominikaner Heinrich Seuse (13./14. Jh.), die mexikanische Malerin Frida Kahlo (20. Jh.), den österreichischen Bildhauer und Zeichner Alfred Hrdlicka (20./21. Jh.) oder die serbische Performance-Künstlerin Marina Abramović (20./21. Jh.), die in ihrer verkörperten Darstellung der Passion auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Letztlich aber, so die Autorin, haben sie alle eines gemeinsam: Sie stellen die Vulnerabilität des Körpers durch künstlerische Selbsterzählung und Selbstvergewisserung auf ihre Weise dar und transponieren, adaptieren und schreiben christliche Motive und Codes fort. Dies zeigt sich vor allem darin, dass die Verwundbarkeit des Leibes Jesu im Mittelpunkt der Darstellung wie auch der Verkörperung steht und so über die Zeit hinweg die Menschen im Schmerz mit ihm verbunden zu sein scheinen (vgl. S. 108).

In vielen Darstellungen wird der Körper Christi geschlechterübergreifend abgebildet (vgl. S. 154). Manch ein_e (gläubige_r) Leser_in könnte sich über die verschiedenen Abbildungen des Passionsleibs Jesu im Buch ärgern, wenn Pahud de Mortanges Christus als gebärende Mutter, mit nährender Brust oder seine Seitenwunde als Vulva diskutiert. Die Autorin belegt ihre Forschung mit zahlreichen Quellen und ikonischen Bildern wie illustrierten mittelalterlichen Bibelausgaben (S. 151) oder den Bildern und Werken von Alfred Hrdlicka (S. 174–179).

Im dritten Teil ihres Buches findet sich die Leserschaft in der Hauptstadt Perus des 21. Jahrhunderts wieder. Wie auch in vielen anderen Ländern auf der Welt stoßen Transgender-Personen in Peru häufig auf Ablehnung und sind deshalb in der Öffentlichkeit oft nicht sichtbar. In der umfangreichen Fotoserie Vírgenes de la Puerta der Künstler Juan José Barboza-Gubo und Andrew Mroczek (vgl. S. 16, 201–205) stehen Gaby und die LGBTQ-Situation in Peru im Mittelpunkt. Das Kunstprojekt konzentriert sich auf Trans-Frauen in Lima, die von den politischen und religiösen Verwaltungen ausgegrenzt werden. Es feiert transsexuelle Frauen, stellt sie als relevante ikonische Figuren im Kontext ihres Heimatlandes dar und ehrt ihre Vielfalt, indem es sie in die kulturelle Landschaft und die Geschichte Perus integriert.

Das Buch endet mit einem Ausschnitt aus Gabys persönlicher Erfahrung als Transgender-Person. Damit schließt sich auch symbolisch der Kreis der Dornenkrone, die nicht mehr nur als Verweis auf die Passion Jesu gelesen werden kann, sondern auch als die Passion, Stigmatisierung und Verhöhnung von Gaby und anderen Personen aufgrund ihrer Transgender-Identität in der heutigen peruanischen Gesellschaft.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass Pahud de Mortanges einen innovativen Spagat zwischen den Körper- und Bildwelten christlicher Frömmigkeit und moderner Bodyperformance-Kunst versucht, der ihr in weiten Teilen auch gelingt. Dass sie zu Beginn grundlegende Theorien der Memory und Gender Studies vorstellt, erweist sich für ihre weiteren Ausführungen sicherlich als hilfreich, da sie ihren Ausführungen damit einen Rahmen gibt. Zwischendurch verliert sie jedoch die Verbindung zu Gaby, auch wenn sie sie zwar in den einleitenden Hauptteilen erwähnt, aber am Ende die gewonnenen Erkenntnisse kaum miteinander verwebt, da sie immer wieder tief in die verkörperte Erinnerung an das Leiden Christi eintaucht. Die Autorin verbindet die drei jeweils für sich stehenden Teile des Buchs vor allem durch Gaby, indem sie sie zunächst als Person und Teil des Passions-Themas vorstellt, dann als (verkörperten) Untersuchungsgegenstand einordnet und schließlich im dritten Teil in die Gegenwart Gabys und des Kunstprojektes springt. Zugleich wird hier der bereits erwähnte Spagat deutlich, dessen Verbindung zwischen Gaby und den Erinnerungskulturen des Christentums nicht immer eindeutig erscheint. Zudem kann das Buch nicht als rein wissenschaftlich bezeichnet werden, da es viel Raum für Spekulationen lässt, wenn es z.B. durch Abschweifungen in ihren Schlussfolgerungen oft eine eher spekulative Kunstbetrachtung darstellt, die von der Autorin nicht plausibel belegt und kaum bewertet wird. Da die Autorin keine klare Position bezieht, kann es dem_r Leser_in schwer fallen, dem Text wissenschaftliche Zuverlässigkeit zuzusprechen. Fakt ist jedoch: Jesus ist für Elke Pahud de Mortanges der body that matters schlechthin, der zahlreiche Optionen für ein wissenschaftliches Follow-Up bieten kann.


English Abstract

Jesus, Why Does the Body Matter? Connecting the Passion of Christ and Peruvian Transgender Women through the Body
The theologian Elke Pahud de Mortanges analyzes the depiction of the Passion of Jesus in terms of memory, body and identity. Gaby, a transgender person and an inconstant guide in the book, leads us through the culture of memory of Christianity as well as through her own history and that of the LGBTQ community in Peru. The author opens up new multidisciplinary perspectives for Christian-oriented memory and gender studies, as well as for the concept of embodiment in the present.

 

Copyright 2024, ANA MARIA SPASOJEVIĆ. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).