Return to Article Details Virtual Immortality — Paradise from the Machine
Unbenanntes Dokument


Rezension Virtual Immortality — Das Paradies aus der Maschine

 

A Review by Tobias Bieseke (tobias.bieseke@fh-dortmund.de)

Kunsthochschule für Medien Köln / kiU FH-Dortmund

 

Krüger, Oliver. Virtual Immortality. God, Evolution, and the Singularity in Post- and Transhumanism. Bielefeld: transcript Verlag, 2021. 356 Seiten, 35 EUR. ISBN: 978-3-8376-5059-4.

 

Abstract

Oliver Krüger verhandelt in seinem Buch technische Fantasien zur Überwindung des Todes mit Fokus auf die Dynamiken zwischen Religion, Science-Fiction und Digitalisierung. Dabei thematisiert er die Strömungen des Post- und Transhumanismus und argumentiert, dass Virtualität zum fantastischen Möglichkeitsraum wird, in welchem der Geist als eine elektrische Entität (Avatar) beständig existieren könnte.

 

Review

Der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Oliver Krüger untersucht in seinem 2021 erschienen Buch Virtual Immortality — God, Evolution, and the Singularity in Post- and Transhumanism in zugänglicher englischer Sprache die futuristischen Ideen der Vordenker des Posthumanismus (u.a. Ray Kurzweil, Frank J. Tipler, Marvin Minsky, Hans Moravec) und analysiert diese in ihrem historischen Kontext sowie in ihren Wechselwirkungen zur (primär christlichen) Religion. Krüger teilt sein Buch in zwei Teile: einen kürzeren ersten Teil, der sich in drei Kapiteln mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Medien („Humans and Media“) beschäftigt und einen zweiten Teil, der sich ausführlich dem technologischen Posthumanismus („Technological Posthumanism“) widmet.


Im ersten Teil analysiert Krüger detailliert den Begriff der Virtualität, wobei er unter virtueller Realität die visuelle, akustische und seltener auch die haptische Simulation von realen oder fiktiven Erfahrungen versteht (vgl. S. 30). Mit dieser Analyse macht Krüger gleich zu Beginn seiner Studie klar, dass er Unsterblichkeit als technische Modifikationen von Geist und Existenz versteht und nicht als die Beständigkeit eines ewigen Körpers. Im Übergang von Teil I zu Teil II geht Krüger auf die Verbindung zwischen virtuellen Selbstrepräsentationen und der Vorstellung von medialer Unsterblichkeit ein. Krüger legt dar, dass menschliche virtuelle Simulationen unabhängig von Zeit, Raum und Körperlichkeit sind und je näher diese an der Realität sind, desto enger wird der Vergleich zwischen dem Menschen und seinem virtuellen Gegenstück sein (vgl. S. 57). Daher stellt sich Krüger die Frage „what happens when people wish to become as immortal as the people they see in virtual simulations?“ (S. 58).


Im zweiten Teil beschäftigt sich Krüger primär mit Theorien zur Übertragung von menschlichem Geist auf technische Körper. Krüger unterscheidet zwischen Posthumanismus und Transhumanismus (Kap. 4), da diese unterschiedliche Positionen zur Überwindung der menschlichen Sterblichkeit vertreten. Während im Posthumanismus angenommen wird, dass der Mensch eines Tages ausstirbt und durch ein technisches Geschöpf ersetzt wird, theoretisiert der Transhumanismus hingegen, dass der menschliche Geist über die eigenen Körpergrenzen hinaus in Speichersysteme technischer Maschinen übertragen wird. Des Weiteren gibt er eine Übersicht über die Terminologien, die in der Peripherie des Transhumanismus auftreten, wie zum Beispiel: Amortalist (Person, die den Tod ablehnt), Immortalist (Person, die die Unsterblichkeit anstrebt), Wetware (Analogie zu Hardware nur in Bezug auf organische Systeme), XOX (Xerox — Eine atomisch identische Kopie einer Person) (vgl. S. 81). Als eine mögliche Konsequenz von technischen Unsterblichkeitsphantasien geht beispielsweise die Kryonik hervor. Dabei wird versucht, menschliche Körper mittels Einfrieren zu konservieren, um deren Bewusstsein in der Zukunft abermals zum Leben erwecken zu können.


Als Konstante bei den Protagonisten des Transhumanismus (Frank Tipler, Marvin Minsky, Hans Moravec, Ray Kurzweil) beobachtet Krüger (Kap. 5), dass diese alle US-amerikanische Einwanderer sind oder von solchen abstammen und daher den Kern von Identität nicht in Ethnie bzw. dem Körper verorten, sondern im Geist — was Krüger als fundamental für die Entwicklung des Transhumanismus ansieht. Für die Theoretiker des Transhumanismus existiert der Geist also unabhängig von seinem Körper.


In Kapitel 6 gibt Krüger eine geschichtliche Übersicht über die Vorstellungen, die sich aus dem Post- und Transhumanismus ergeben haben. Dabei geht er vor allem auf Science-Fiction Werke in der Literatur (William Gibson, Isaac Assimov, Stanislaw Lem) und Film (Matrix, Transcendence, Blade Runner, AI, The Thirteenth Floor, eXistenZ) ein und ordnet diese durch eine Kontextualisierung mit dem Trans- und Posthumanismus kulturhistorisch ein (vgl. S. 242–289. In diesem Abschnitt nimmt Krüger ebenfalls die Thesen von Pierre Teilhard de Chardin und Frank J. Tipler in den Fokus. Beide argumentieren, dass es innerhalb des Omega Punktes (Endpunkt der Evolution) zu einem Zustand von Singularität kommt, in welchem intelligentes Leben das Universum als Computer nutzt, um alles, was jemals denkbare Wirklichkeit war, als Simulation abermals existieren zu lassen.


Im siebten und letzten Kapitel interpretiert Krüger die Singularität des Omega Punktes als Konstrukt eines virtuellen Paradieses, welches die künstliche Herbeiführung eines göttlichen Planes bedeuten würde (vgl. S. 309). Für Krüger verschwimmen daher spekulative Glaubenssysteme mit technischen Wahrheiten im Konzept der Singularität. Mit dem Begriff “transumanar” legt Dante laut Krüger die philosophische Grundlage für die antimythologische Vergöttlichung des Antropos, welche auch für die Theologie von Relevanz ist. Krüger ist der Meinung, dass es Tipler und Kurzweil teilweise gelungen ist, die wissenschaftlichen und religiösen Vorstellungen von (Heils-)Geschichte, Gott, Menschheit und Kosmos zu aktualisieren und diese neuartig zu verbinden (vgl. S. 310). Krüger schlussfolgert daher: „Post- and transhumanism therefore do not arise in a cultural vacuum, but rather rely on established interpretations of social reality, which have already been part of Christian thought and western philosophy for two millennia“ (S. 310).


Oliver Krüger reflektiert gründlich, kritisch und aufmerksam die Bewegungen rund um den Post- und Transhumanismus und schafft dabei eine Studie, die sich mit den grundsätzlichen Fragen an der Schwelle zwischen Theologie und Wissenschaft beschäftigt. Diese Synergie erzeugt eine spannende Wechselwirkung, die einen Vorstellungsraum kreiert, der innovative Präfigurative für potenzielle technologische Entwicklungen freisetzt und Glaubenssysteme ebenfalls als Möglichkeitsräume begreift. Religiöse Jenseitsvorstellungen werden mit dem Buch Virtual Immortality zur selbsterfüllenden Prophezeiung und überschreiten die Passivität hin zu einer Aktivität, die durchaus kritisch zu hinterfragen ist. Letztlich bietet die Studie eine sehr gute Übersicht über die philosophischen Grundlagen von virtueller Unsterblichkeit, die auch die Parallelströmungen und Seitenarme des Transhumanismus hinreichend beleuchtet.


Virtual Immortality ist sehr empfehlenswert für Wissenschaftler_innen mit Studienschwerpunkt auf Theologie, Philosophie, Medienwissenschaft, Virtuelle Realität oder für solche, die sich generell mit der Übertragung von menschlichem Geist auf technische Körper beschäftigen. Krüger schafft argumentativ eine gute Balance zwischen nutzbarer Vision und kritischer Tatsachenbetrachtung, wodurch die Studie eine angemessene Divergenz aufweist. Dabei tritt er in kritische Distanz zu spiritueller Verblendung und benennt die Diffusität religiöser Argumente als solche und begreift diese Thesen als Hypothesen von denkbarer Möglichkeit. Diesbezüglich macht das Buch viel Spaß und stimuliert zum Weiterdenken. Sicherlich sind in dieser Studie viele Anreize für weiterführende philosophische Fragestellungen zu finden. Beispielsweise: Wie entwickelt sich eine virtuelle, technische Persönlichkeit im Vergleich zu einer körperlichen? Haben technisch übertragene Geister einen eigenen Willen mit einem Handlungsbedürfnis oder sind sie ein Verhaltensmuster, welches lediglich abgerufen werden kann? Derzeitig sind die Theorien von virtueller Unsterblichkeit lediglich Fantasien, dennoch könnten sie als selbsterfüllende Prophezeiungen zukünftig tatsächlich eine Form von technischer Umsetzung finden. Schließlich fliegen wir auch nicht mit der Kraft unserer Arme, sondern mit technischen Adaptionen.

 

English Abstract

Review Virtual Immortality — Paradise from the Machine

In his book, Oliver Krüger engages with technical fantasies about overcoming death. More precisely, he observes the dynamics between religion, science fiction, and digitalization. He focuses on the currents of posthumanism and transhumanism and argues that virtuality becomes a fantastic space of possibility in which the spirit could exist permanently as an electrical entity (avatar).

 

 

Copyright 2023, TOBIAS BIESEKE. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).