Return to Article Details A Matter of Attitude: On Responsibility and Self-Critique of Design at Michael Erlhoff
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Eine Frage der Haltung: Über die Verantwortung und Selbstkritik von Design bei Michael Erlhoff 

 

A Review by Saskia Ketz (saskia.ketz@fh-dortmund.de)

Folkwang Universität der Künste / Fachhochschule Dortmund

 

Erlhoff, Michael. Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite von Gestaltung. Erschienen in der Reihe Bauwelt Fundamente, Bd.172, Basel: Birkhäuser Verlag, 2021. 156 Seiten, 29,95 EUR. ISBN: 978-3-03-562381-9.

 

Abstract

Michael Erlhoff reflektiert in dieser Publikation die gestaltete Umwelt hinsichtlich ihrer Kehrseiten und Schwächen. Er zeigt auf, in welchen Bereichen sich Design seiner Verantwortung entzieht und Selbstkritik verweigert. In sechs Kapiteln mit einer Vielzahl von kurzen Essays werden Gestaltungsobjekte und gestaltete Dienstleistungen in Bezug auf z.B. Manipulation, Ethik und Aufrichtigkeit analysiert und kontextualisiert. Der Autor hinterfragt die Allgemeingültigkeit bekannter Gestaltungsprinzipien und legt dabei die Herausforderungen und Grenzen von Design dar.

 

Review

Design umgibt uns jederzeit und ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Der Designtheoretiker Michael Erlhoff reflektiert in Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite von Gestaltung unsere gestaltete Umwelt hinsichtlich ihrer Kehrseiten und Schwächen. Er zeigt auf, in welchen Bereichen sich Design seiner Verantwortung entzieht und Selbstkritik verweigert. Die posthum veröffentlichte Publikation, Erlhoff verstarb leider einige Wochen vor der Veröffentlichung, umfasst eine Sammlung von 27 kurzen Essays, die sich in sechs Kapitel gliedern und im Folgenden exemplarisch beleuchtet werden.


Im ersten Kapitel „Im Gebrauch“ hinterfragt Erlhoff die im Designkanon viel zitierte Funktionalität und Effizienz eines Objektes oder Produktes als Indikator für gelungenes Design. Am Beispiel von militärischen Anwendungen wie Gewehren, Panzern oder Drohnen und ihrer Bewerbung wird deutlich, dass auch diese einer Corporate Identity unterliegen und gestaltet wurden. Erlhoff stellt fest, dass Designer_innen, die zur Tötung von Menschen Werkzeuge und Programme entwerfen, ihre Arbeiten nicht publik machen wollen. Wo sonst gerne und äußerst präsent über realisierte Projekte berichtet wird, herrscht im Bereich der Waffenindustrie Schweigen. Im anschließenden Essay wird diese dunkle Seite der Gestaltung um den amerikanischen Holocaustleugner Frederick A. Leuchter erweitert, der im Besonderen durch seine Arbeit als Designer von elektrischen Stühlen bekannt wurde. Neben der Funktion und der Ergonomie betonte dieser vor allem die Langlebigkeit seiner Entwürfe und nennt dabei drei Kriterien, die vermeintlich gutes Design kennzeichnen. Erlhoff entlarvt mit diesem Beispiel den Begriff des guten Designs und hinterfragt dessen Allgemeingültigkeit.


Das folgende Kapitel „Redensarten“ reflektiert die Methode des Storytellings im Design und fragt nach dem Verhältnis von Gestaltung und Narrativ. Erlhoff kritisiert hierbei vor allem die fehlende Auseinandersetzung mit dem Wesen eines Gegenstands, wenn eine Verbindung von Erzählung und Objekt im Fokus steht. Er konstatiert: „Jener Zwang des Narrativen ignoriert völlig das Design selber“ (S. 30). Für Erlhoff wird durch das Prinzip des Erzählens, so trivial es auch sein mag, Gestaltung ersetzt. Aus dieser Perspektive leitet er ab, dass Designer_innen ihren eigenen Berufsstand und somit ihre eigene Zukunft demontieren und für nichtig erklären. Des Weiteren behandelt dieses Kapitel die Frage nach Täuschung und Fälschung im Design. Am Beispiel vom Modell im Produktdesign, der Fotografie, des Films und des Servicedesigns macht Erlhoff die Schwachstellen von Design hinsichtlich Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit deutlich. Besonders das Medium der Fotografie ist seit seinen Anfängen der Kritik ausgesetzt, nicht eindeutig objektiv bzw. eindeutig subjektiv zu sein. Fotografie pendelt somit immer zwischen den Polen von Dokument und damit assoziierter Wahrhaftigkeit und Realitätsnähe auf der einen Seite und inszeniertem Ausdruck auf der anderen Seite.


Im dritten Kapitel „Von Sinnen“ setzt sich Erlhoff mit den Manipulationen von Sinneswahrnehmungen durch eine bewusste Gestaltung auseinander. Der Begriff des Corporate Smell bezeichnet dabei den unbewusst aufgenommenen, positiv besetzten Geruch, der Konsument_innen zum Kauf animieren soll. Das Feld des Auditiven hat im Vergleich zum Visuellen eine schnellere Verarbeitung des Gehirns zum Vorteil. Darüber hinaus ist es sehr viel schwerer möglich, sich Geräuschen und Tönen zu entziehen. Die Augen können geschlossen werden, die Ohren jedoch nicht. Dem Sounddesign wird daher ein großer emotionaler Einfluss zugesprochen, dass auf Wiedererkennung und Erinnerung durch das Prinzip der Wiederholung setzt. Als besonders bekanntes Beispiel nennt der Autor den Jingle der Telekom und verweist zudem auf akustische Merkmale von Verpackungen, wie etwa das Öffnen einer Bierflasche oder Coca-Cola Dose.


In „Die Macht als Design“ kritisiert Erlhoff die fehlende Ethik, Moral und Menschlichkeit der Gestaltungsmaxime wie Funktion, Ergonomie, Effizienz oder Nachhaltigkeit. Anhand verschiedener Lebenswege früherer Bauhäusler stellt der Autor die Doppelmoral ihrer Arbeit im Nationalsozialismus dar und analysiert das Bauhaus als unantastbare Institution, welche bisher nicht aus einer differenzierten politischen Perspektive untersucht wurde.


Daran anschließend untersucht Erlhoff in „Einzelheiten“ das Prinzip von Corporate Identity und Branding, also die eingebrannten Gestaltungsprinzipien eines Unternehmens, denen Mitarbeiter_innen und Käufer_innen gleichermaßen folgen. Hierbei geht es um visuelle Strategien der Zugehörigkeit, aber auch der Ausgrenzung. Erlhoff sieht sich an den Ursprung des Wortes Branding hinsichtlich Viehhaltung erinnert, erkennt aber auch eine Verwendung dessen im Erscheinungsbild des italienischen Faschismus und Nationalsozialismus.


Abschließend reflektiert der Autor im Kapitel „Nachrufe“ über das ambivalente Verhältnis von Kunst und Design. Er stellt die sich nur langsam auflösende Hierarchie dar, in der sich Kunst, ihre Institutionen und Protagonist_innen über Design stellen. Gleichzeitig schlussfolgert er, dass Kunst untrennbar an Design gebunden ist, da Sichtbarkeit von Kunstwerken immer mittels gestalteter Ausstellungsräume oder -kataloge und Layouts stattfindet.


Angesichts des Kriegs in der Ukraine sind Erlhoffs Ausführungen im ersten Kapitel ein Jahr nach ihrem Erscheinen erschreckend aktuell. Seine Auseinandersetzung mit Gestaltung in der Waffenindustrie bekommt in diesem Zusammenhang eine neue Dimension. Sie führt unweigerlich zu der Frage nach der Aktualität der Beispiele im Buch selbst. Eine Reflektion von neuesten Herausforderungen im Design wäre daher wünschenswert und spannend gewesen. Zwar findet dies am Beispiel des Smartphones oder des Selfies kurz statt, man könnte aber zukunftsweisend danach fragen, welchen Einfluss künstliche Intelligenz auf das Berufsbild von Designer_innen hat oder wie sich die zeitliche Dimension von sozialen Medien mit dem dauerhaften Anspruch an Aktualität aus gestalterischer Perspektive hinterfragen lässt.  


Als emeritierter Professor für Designgeschichte und -theorie war Erlhoff auch geprägt von den Institutionen, in denen Design gelehrt und gelernt wird. Für diese Zielgruppe stellt Im Schatten von Design eine wichtige und lesenswerte Lektüre dar, die eine Anleitung bietet, selbstkritisch und -reflektiert mit der eigenen Disziplin umzugehen. Als wichtige und zukunftsweisende Frage gilt es zu verhandeln, wie sich Gestaltung positionieren will und wird. Welche Verantwortung, welche Haltung werden Designerinnen und Designer zukünftig übernehmen?

 

English Abstract

A Matter of Attitude: On Responsibility and Self-Critique of Design at Michael Erlhoff

Michael Erlhoff reflects on the downsides of design in Im Schatten von Design: Zur dunklen Seite von Gestaltung. He points out in which sectors design evades responsibility and does not assume self-criticism. In six chapters with a broad variety of shorter essays, design and designed services are analyzed and contextualized regarding manipulation, counterfeiting, ethics, moral, humanity, self-disassembly and honesty. The author questions the universality of formal principles such as function, ergonomics, and efficiency and exposes thereby the challenges and limits of design.

 

 

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