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Memorialfunktionen von Miniaturbildnissen und frühen Fotografien: Munfortes Trauerbilder und Totenporträts

 

A Review by Saskia Ketz (saskia.ketz@fh-dortmund.de)

Folkwang Universität der Künste / Fachhochschule Dortmund

 

Munforte, Patrizia. Trauerbilder und Totenporträts. Nordamerikanische Miniaturmalerei und Fotografie im 19. Jahrhundert. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2018. 224 Seiten, 49,00 EUR. ISBN: 978-3-496-01606-9.

 

Abstract

Patrizia Munforte untersucht in ihrer kunsthistorischen Promotionsschrift den Einfluss der Miniaturmalerei auf die frühe Fotografie und ihrem Wert als Erinnerungsobjekt in Nordamerika nach 1839. Das gemalte wie fotografierte Totenportrait in seinen unterschiedlichen Darstellungspraktiken stellt hierbei den Untersuchungsgegenstand dar. Das Unikatverfahren, Materialität beziehungsweise haptische Erfahrbarkeiten und das Prinzip der Ähnlichkeit sind für das Erinnerungsbild von zentraler Bedeutung und im Kontext von kulturgeschichtlichen Ereignissen und sozialem Wandel zu verstehen.

 

Review

Patrizia Munforte behandelt in Trauerbilder und Totenporträts. Nordamerikanische Miniaturmalerei und Fotografie im 19. Jahrhundert die Verbindung von frühen Fotografien und Miniaturmalereien und ihrem Wert als Erinnerungsobjekt mit einem Schwerpunkt auf den Städten Boston, New York und Philadelphia der 1840er- bis 1860er-Jahre.


Die Arbeit zeigt auf, wie sich das fotografische Bild seit seiner Einführung im Jahr 1839 als eigenständiges Medium der Erinnerung etablierte. Das gemalte Miniaturbild mit einer Größe von meist unter zehn Zentimetern ist hierbei als Vorläufer, im Besonderen im Bezug auf tradierte Abbildungspraktiken und Bildmotive zu sehen. Munforte konzentriert sich in ihrer Forschung auf verschiedene Darstellungsweisen von Totenporträts.


In ihrer kunst- und kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung bedient sie sich fotografischer und textlicher Primärquellen und ist in ihrer Methodik vor allem materialorientiert ausgerichtet. Die Publikation, basierend auf der Promotion der Autorin und realisiert mithilfe eines längeren Forschungsaufenthalts in den USA, gliedert sich im Hauptteil in drei Kapitel. Das erste Kapitel stellt dar, wie das nordamerikanische Miniaturgemälde als Erinnerungsmedium funktionierte, zirkulierte und präsentiert wurde. Am Beispiel von mobilen neuenglischen und puritanischen Siedlerfamilien in 17. Jahrhundert und ihrem Bedarf an tragbaren Erinnerungsbildern erläutert Munforte die Entwicklung des Miniaturbildes von einem Artefakt öffentlicher Repräsentation von Trauer hin zu einem persönlichen Trauerobjekt (vgl. S. 49 ff). Der visuelle Erinnerungskult nach dem Tod George Washingtons vereinte schließlich private und öffentliche Trauer und führte zu einer Kommerzialisierung von privaten Erinnerungsartefakten von kleineren Abmessungen (vgl. S. 64).


Im zweiten Kapitel zeichnet die Autorin den Stellenwert von frühen Porträtfotografien und ihrer Memorialfunktion nach. Die Daguerreotypie als frühes fotografisches Verfahren stellte wie das gemalte Bild ein Unikat dar, konnte jedoch wesentlich realitätsnäher abbilden als die Malerei. Durch die „Fixierung des Schattens“ (S. 88), die fotografische Technik und räumliche Nähe von zu fotografierendem Objekt und Trägermaterial zum Zeitpunkt der Aufnahme eignete sich die Fotografie hervorragend als Erinnerungsmedium. Das Antlitz der Verstorbenen wurde mithilfe der Fotografie konserviert. Die Aufbewahrung der Fotos in Etuis machte sie haptisch erfahrbar. Außerdem konnten sie nah am eigenen Körper getragen werden, was auf eine körperliche Aneignung des Trauerbildes verweist.


Das dritte Kapitel konzentriert sich abschließend auf die Aspekte von Tod und Trauer im Portrait und erläutert die fotografischen Methoden zur praktischen Realisation eines Trauerbildes. Hierbei bezieht sich Munforte vorrangig auf Erfahrungsberichte von Fotografen nach 1870 als Quelle. Sie unterscheidet im Totenportrait zwischen einer wie schlafend und einer verlebendigten Inszenierung des toten Körpers. Die Motivation für eine verlebendigte Darstellung lässt sich durch das noch sehr junge Medium der Fotografie begründen. Oft gab es zu Lebzeiten nicht die Möglichkeit eines Porträts, sodass das Totenbild das erste Foto der Person darstellt. Dieses sollte nicht den toten Körper zeigen, sondern möglichst lebensnah erscheinen, um an das Leben, nicht an den Tod zu erinnern. Für den Wert der Erinnerung ist das Prinzip der größtmöglichen Ähnlichkeit, das der likeness relevant.


Das Anfertigen von Totenfotografien in professionellen Studios kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Erliegen, da der Transport von Leichen aus hygienischen Gründen verboten wurde. Totenporträts wurden zudem vermehrt privat angefertigt, was durch die Weiterentwicklung und Vereinfachung von fotografischer Technik möglich wurde.


In ihrer Begriffskritik zum Terminus der Post-Mortem-Fotografie verortet Munforte diesen im Besonderen in den Gebrauch für medizinische oder technische Aufnahmen und den Zustand des Körpers, welches einem Totenportrait im Sinne einer likeness nicht gerecht wird (vgl. S. 126 ff). Aus fotowissenschaftlicher Perspektive ergibt sich die Frage, inwieweit ein Vergleich mit dem sich später etablierenden Terminus der remembrance-photography sinnvoll gewesen wäre, da dieser die im Bild eingeschriebene Erinnerungsfunktion bereits impliziert.


In ihrer Schlussbetrachtung reflektiert Munforte ihr historisches Forschungsfeld im Lichte gegenwärtiger Smartphone-Fotografie und nennt bedeutsame Beispiele aktueller Totenfotografien im Spannungsfeld von ethischen Fragestellungen und Erinnerungsdiskursen. Hierbei weist sie auf äußerst relevante und noch offene Forschungsfelder hin, die im Hinblick auf Ethik und aktuelle visuelle Phänomene zu untersuchen wären.


Für die Bearbeitung des Forschungsfeldes zur Verbindung von Miniaturmalerei und frühen Fotografien im Kontext der Erinnerung bin ich sehr dankbar. Die Erkenntnisse zur Wechselwirkung von fotografischem Totenportrait und Miniaturmalerei und ihrer Materialität liefern wichtige Hinweise für die Erforschung des historischen Stellenwertes und dem Nutzen der Fotografie in ihren Anfängen.


Für mich ergibt sich die Frage, inwieweit die Miniaturmalerei und die Technik der Totenmaske aus historischer Perspektive in Konkurrenz standen, besonders in Bezug auf eine Wahrnehmung als Vorläufer der erinnernden Fotografie und dem Prinzip der Ähnlichkeit und des Abbilds im Sinne einer likeness. Durch die unmittelbare Nähe von Trägermaterial und totem Körper und der Vorstellung einer physischen Spur nach dem Prinzip des Indexes ist die Totenmaske ebenso dazu geeignet, als Erinnerungsmedium zu agieren. Eine Aufarbeitung dessen wäre für mich wünschenswert gewesen.


Für die kunstwissenschaftliche Forschung zu den Abbildungsmedien der Erinnerung liefert diese aktuelle Untersuchung jedoch wesentliche Erkenntnisse und formuliert dabei weitere interessante Forschungsbereiche der visuellen Erinnerungskultur. 

 

English Abstract

Memory Functions of Death Portraits in Miniature Painting and Early Photography

In her art historical dissertation Patrizia Munforte sets out the impact of miniature painting on early photography and their significance as media of remembrance in North America after 1839. The main research subject is the death portrait – painted and photographed – and its different forms of presentation. Munforte analyzes the unique process, the materiality, and the principle of likeness as important characteristics for the image and its memory function in the context of cultural and social change.

 

 

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