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Besser Vergleichen. Kaisa Kaakinen über den Wert der komparatistischen Methode zu Beginn des 21. Jahrhunderts

 

Eine Rezension von Fabian Goppelsröder  (fabian.goppelsroeder@gmail.com)

Freie Universität Berlin

 

Kaakinen, Kaisa: Comparative Literature and the Historical Imaginary. Reading Conrad, Weiss, Sebald. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2017. 261 pages, 93,59 EUR. ISBN: 978-3-319-84749-8.

 

Abstract

Dass eine Dissertation in Comparative Literature unterschiedliche Autoren und ihre Werke vergleicht, ist kaum überraschend. Dass der Vergleich aber dezidiert zur Durchführung einer Reflexion auf die komparatistische Methodik wird, ist nicht ganz so selbstverständlich. Der Anspruch, durch ihr gezieltes Konstellieren Neues über jeden einzelnen der analysierten Texte sagen zu können, verbindet sich mit der Erwartung, die Praxis des Zusammenstellens und Vergleichens selbst besser zu verstehen. Kaisa Kaakinens Comparative Literature and the Historical Imaginary. Reading Conrad, Weiss, Sebald versucht sich an gerade dieser doppelten Besinnung – „The form of this book reflects the activity it studies“ (S. 25) – und setzt damit gleich zu Beginn auch explizit den Rahmen für eine komplexe, vielschichtige Arbeit.

 

Rezension

Dass eine Dissertation in Comparative Literature unterschiedliche Autoren und ihre Werke vergleicht, ist kaum überraschend. Dass der Vergleich aber dezidiert zur Durchführung einer Reflexion auf die komparatistische Methodik wird, ist nicht ganz so selbstverständlich. Der Anspruch, durch ihr gezieltes Konstellieren Neues über jeden einzelnen der analysierten Texte sagen zu können, verbindet sich mit der Erwartung, die Praxis des Zusammenstellens und Vergleichens selbst besser zu verstehen. Kaisa Kaakinens „Comparative Literature and the Historical Imaginary. Reading Conrad, Weiss, Sebald“ versucht sich an gerade dieser doppelten Besinnung – „The form of this book reflects the activity it studies“ (S. 25) – und setzt damit gleich zu Beginn auch explizit den Rahmen für eine komplexe, vielschichtige Arbeit.

 

Dabei lässt sich eine gewisse Unzufriedenheit mit Selbstverständnis und Methodologie ihrer eigenen Disziplin als Ausgangspunkt der Studie nicht überhören. Bei allem hermeneutischen Gespür für die Relativität von Sinngehalten und trotz der Anerkennung und Betonung der konstitutiven Lückenhaftigkeit von Texten durch die Rezeptionsästhetik dominiert die Annahme der Homogenität der Leserschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt immer noch Theorie und Praxis in den Literaturwissenschaften. Auch nach Jahren postkolonialer Kritik an alten Machtstrukturen mit fragwürdigen Hierarchien scheint hier die Verschiedenheit einzelner Lektüren allein diachron begründet. Andere (historische) Zeiten, andere Erwartungshorizonte, könnte man in Anlehnung an Gadamer und Jauss wohl sagen. Doch was passiert, wenn, wie Chinua Achebe schon 1977 mit Bezug auf Joseph Conrad fragte, der Dialog zwischen Text und Leser überhaupt unmöglich ist, weil der Text den Leser nicht als solchen zulässt?

 

Kaakinen nimmt diese Frage als einen ersten Aufhänger ihrer Untersuchung (S. 5f). „I seek to bring the concepts and perspectives of reception aesthetics into contact with postcolonial studies and their questions on hierarchies and subversive reading.“ (S. 9) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Idee einer gegenüber unterschiedlichen Gewohnheiten und Kulturen neutralen Zeit brüchig geworden. Die Vorstellung eines einheitlichen Zeitregimes lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Die Gegenwart ist, wie Peter Osborne formuliert, längst eine „disjunctive unity of present times“ (S. 13), ein Konglomerat unterschiedlicher und doch gleichberechtigt gegenwärtiger Temporalitäten geworden. Die individuelle Einbindung, der Wechsel oder die Verspannung zwischen den temporalen Ordnungen pluralisiere aber auch die Leserschaft literarischer Texte, so Kaakinen. Und das hat Konsequenzen für deren Analyse: Statt allein den impliziten Leser zu betrachten müsse man die nicht implizierten, unzeitgemäßen Rezipienten mit in den Blick nehmen; gerade auch bei älteren, nicht unbedingt auf die Heterogenität der Leserschaft zielenden Texten. „In the following readings I investigate how critical awareness of historically specific ‚unimplied‘ and ‚untimely‘ readers changes our perspective to the texts by Conrad, Weiss and Sebald“ (S. 15).

 

Das vielleicht wichtigste poetische Konzept, das Kaakinen zur Analyse vorschlägt, ist das der „weak analogies: textual strategies that encourage into historical linking but do not specify the exact nature of the implied linkage“ (S. 241). Auch wenn deren Abgrenzung zur schieren Assoziation nicht immer klar ist, so schafft es Kaakinen mit ihrem Ansatz doch, neue, überraschende Blickwinkel auf das Werk der untersuchten Schriftsteller zu öffnen. Die Parataxe als das sprachliche Mittel schwacher Analogien kennzeichnet das Werk von Peter Weiss ebenso wie das von Joseph Conrad oder W.G. Sebald. Bei Weiss führt das zu einer Art Soma-Poetik der Leerstellen, die mehr sind als nur Lücken im Plot; ihre Leere zwingt den Leser geradezu in eine Reaktion mit allen Sinnen (S. 45). Eine Poetik, die – entgegen mancher Weiss-Rezeption – auf Offenheit und Mobilisierung der historischen Vorstellungskraft zielt statt auf dogmatische Geschlossenheit (S. 104ff). Gerade vor dem Hintergrund der ‚Ästhetik des Widerstands‘ wird der ganz andere Effekt von Parataxe und ‚weak analogies‘ im Werk von Joseph Conrad deutlich. Kaakinen sieht Conrads Poetik als Grund für das enorme Potenzial seiner Texte, immer wieder ungewollt nicht-implizierte Lektüren zu befeuern. Ein Effekt, den Kaakinen v.a. an der Rezeption des als Sohn polnischer Eltern geborenen Dichters in seinem Heimatland analysiert (S. 145ff). In seinem Essay ‚Die Ringe des Saturn‘ nimmt W.G. Sebald gerade diesen Aspekt der Conrad’schen Autorenbiographie auf. Und trotzdem wird der inhaltliche Link für Kaakinen nur Anstoß, um den von Sebald unterstützten Lektüremodus der melancholischen Identifikation genauer zu betrachten (S. 214ff). Der Bindung an den westeuropäischen Geschichtsdiskurs und dem deutlichen Fokus auf männliche Protagonisten steht eine grundlegende Ambiguität im Zentrum der Sebald’schen Poetik entgegen. Eine Ambiguität, die sich auch aus den historischen Erfahrungen und Narrativen ergibt, welche die Leser mit in ihre Lektüre bringen.

 

Bei aller souveränen Analyse der einzelnen Autoren und der durch ihr Werk ausgelösten Debatten, liegt der größte Gewinn von Kaakinens Buch aber tatsächlich in ihrer eigenen komparatistischen Praxis. Auch ihre eigene Arbeit, könnte man sagen, lebt von ‚weak analogies‘. Ohne unwissenschaftlich zu werden, baut sie Brücken zwischen literarischen Texten, Theorien und Debatten, die fragil erscheinen mögen, sich aber zu einem tragfähigen Netz mit unerwarteten Mustern zusammenfügen. Die nicht auf die Abfolge der verschiedenen Rezeptionen innerhalb der diachronen Wirkungsgeschichte eines Werks zu reduzierende synchrone Pluralität möglicher Lektüren wird sichtbar. Zwar bleibt die Frage, ob die multidirektionale Gegenwart tatsächlich ein Monopol unseres beginnenden 21. Jahrhunderts ist oder nicht doch ein vernachlässigtes oder auch bewusst verdrängtes Charakteristikum menschlicher Existenz überhaupt. Kaum zu bestreiten aber ist, dass die ‚disjunctive unity of present times‘ auch durch die technischen Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhundert alle Bereiche unseres Lebens maßgeblich bestimmt. Kaisa Kaakinen zeigt mit ihrer Studie, welche Konsequenzen diese Erfahrung für die komparatistische Arbeit und für unser Selbstverständnis als Lesende haben kann.

 

English Abstract

Comparing Better. Kaisa Kaakinen on the Value of the Comparative Method at the Beginning of the 21st Century

It is hardly surprising that a dissertation in Comparative Literature compares different authors and their works. The fact that the comparison is decidedly a reflection on comparative methodology is not quite so self-evident. The claim to be able to say something new about each of the analysed texts with help of their deliberate constellation comes with the expectation of a better understanding of the practice of comparing itself. Kaisa Kaakinen‘s Comparative Literature and the Historical Imaginary. Reading Conrad, Weiss, Sebald tries its hand at precisely this double reflection - „The form of this book reflects the activity it studies“ (p. 25) - and thus explicitly sets the framework for a complex, multi-layered work right at the beginning.

 

 

Copyright 2019, FABIAN GOPPELSRÖDER. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).