Black Subversion: Die Schwarze Diaspora in Deutschland heute und damals
Eine Rezension von Jeannette Oholi (Jeannette.Oholi@gcsc.uni-giessen.de)
International Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)
BDG Network (Hg.): The Black Diaspora and Germany / Deutschland und die Schwarze Diaspora. Münster: Edition Assemblage, 2018. 375 Seiten, 18 EUR. ISBN: 978-3-96042-035-4.
Abstract
Der zweisprachige Sammelband The Black Diaspora and Germany / Deutschland und die Schwarze Diaspora gibt Einblicke in die Erfahrungen der Schwarzen Diaspora in Deutschland. Es werden zudem internationale Verbindungen zur Schwarzen Diaspora nachgezeichnet. Die Beiträge in Form von Aufsätzen und Interviews stammen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Aktivistinnen und Aktivisten, Kulturschaffenden sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Historische Perspektiven und Erfahrungen der Schwarzen Diaspora werden durch gegenwärtige ergänzt. Themen des Sammelbandes umfassen unter anderem historische Überblicke sowie Berichte individueller Erfahrungen, Formen des Schwarzen Aktivismus in Deutschland, den Zusammenhang von Rassismus und Nation, die Position von Schwarzen Kulturschaffenden sowie die Notwendigkeit, die Schwarze Diaspora zu gendern.
Rezension
Der Sammelband The Black Diaspora and Germany / Deutschland und die Schwarze Diaspora gibt einen Überblick über Forschungsergebnisse der Mitglieder des gleichnamigen Forschungsnetzwerks. Dieses wurde im Jahr 2007 ursprünglich gegründet, um den Austausch von deutschen und internationalen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zu fördern. Im Vorwort des Bandes beschreiben die Mitglieder des Netzwerks, die zugleich die Herausgeber sind, ihre Interessen und Schwerpunkte. Ein Interesse des Netzwerks seit seiner Gründung bestand darin, Erfahrungen der Schwarzen Diaspora im gegenwärtigen und vergangenen Deutschland zu erforschen. Ziel war es, Verbindungen zwischen sich parallel entwickelnden wissenschaftlichen Forschungsgebieten wie etwa den Postcolonial Studies, Black German Studies und Forschungen im US-amerikanischen Raum herzustellen. Dabei betonen die Mitglieder die immer noch herrschende „white dominance“ (S. 11) im deutschen Wissenschaftsbetrieb sowie in der Black Diaspora Forschung selbst. Der Sammelband fordert bestehende Hegemonien der Wissensproduktion heraus, indem vielfältige Stimmen von (Nachwuchs-) Forscherinnen und Forschern, Aktivistinnen und Aktivisten, Künstlerinnen und Künstlern zu Wort kommen.
Eine Verwobenheit von Geschichte und Gegenwart ist im gesamten Sammelband, welcher sich in fünf Teile gliedert, sichtbar. Felix Axster und Maja Figge setzen sich im ersten Teil mit den Critical Whiteness Studies auseinander und plädieren dafür, diese mithilfe anderer Theorien wie der Queer Theory, Queer of Color Critique oder des Black Radical Thought weiter zu denken. Im zweiten Teil Historical Perspectives finden sich Beiträge von Sigrid G. Köhler, Robbie Aitken, Susann Lewerenz, Silke Stroh, Frank Mehring sowie ein Interview von Holger Drössler mit dem Zeitzeugen Willi Meier. Alle Beiträge eint, dass sie einen historischen Blick auf die Schwarze Diaspora in Deutschland werfen. Die Stärke dieses Teils besteht darin, eine historische Vielfalt der Schwarzen Diaspora in Deutschland zu skizzieren. Dabei spielen nicht nur kollektive Erfahrungen eine Rolle, sondern der Fokus liegt immer wieder auf individuellen Erfahrungen. Entgegen der immer noch in Deutschland vorherrschenden Annahme, dass eine Schwarze Diaspora – wenn überhaupt – erst nach 1945 entstanden sei, zeigen das Gespräch mit Theodor Wonja Michael und Nicola Lauré al-Samarai sowie der Beitrag von Robbie Aitken das Gegenteil. Aitken zeichnet in seinem Beitrag „Germany‘s Black Diaspora. The Emergence and Struggles of a Community, 1880s-1945“ die Entwicklungen einer „vielfältigen Schwarzen Präsenz“ (S. 84) vor 1914, während der Weimarer Republik und in Nazi-Deutschland nach. Dabei geht Aitken darauf ein, wie sich die Präsenz der Schwarzen Bevölkerung wandelte – von einer vorübergehenden Anwesenheit als Angehörige des Deutschen Kolonialreichs zu einer dauerhaft in Deutschland ansässigen und, bereits seit der Weimarer Republik, politisch aktiven Community.
Gegenwärtige Perspektiven ergänzen die historischen im dritten Teil Gendering the Black Diaspora. Gloria Wekker, Cassandra Ellerbe und Katharina Gerund fordern darin das Bild der Schwarzen Diaspora heraus, das „lange Zeit maskulin dominiert“ (S. 160) gewesen sei. Im vierten Teil des Bandes mit dem Titel Performance and Performativity in the Arts liegt der Fokus auf (Widerstands-)Formen der Schwarzen Diaspora in den Künsten und im öffentlichen Diskurs. Dabei fragen Damani J. Patridge, Moritz Ege, Misa Dayson, Tobias Nagl und Alanna Lockward nach dem Zusammenhang zwischen Performanz, Performativität und Schwarzsein (Blackness).
Drei Aktivistinnen, Modupe Laja, Pasquale Virginie Rotter und Jamie C. Schaerer-Udeh, gestalten den letzten Teil des Sammelbandes mit dem Titel Black Self-positionings and Collective Processes in National and Transnational Contexts. In „Angry we rise“ setzt sich Pasquale Virginie Rotter eindrucksvoll mit ihrer „Schwarze[n] Wut“ (S. 295) auseinander, die von der deutschen Gesellschaft oft als Bedrohung wahrgenommen wird. Sie entlarvt dabei, wie ein machtvolles Narrativ – „die weiße Angst […] ist unschuldig, die Wut bedrohlich“ (S. 295) – auch in unserer Gegenwart fortbesteht. Rotter führt die - 4 - negative Wahrnehmung von Schwarzer Wut auf Rassifizierungsprozesse zurück, die wiederum dazu führen, dass Schwarze Individuen versuchen, ihre Gefühle zu kontrollieren. Die Autorin unterwandert dieses Narrativ, indem sie die „Schaffenskraft“ (S. 301) Schwarzer Wut betont, da sie darin „das Potential [sieht], das rassistische Gewaltsystem zu stören, herauszufordern und letztendlich zu brechen“ (S. 298).
Eine große Besonderheit des Sammelbandes ist seine Zweisprachigkeit. Die Beiträge sind entweder auf Englisch oder auf Deutsch verfasst. Jedem Beitrag ist eine kurze Zusammenfassung in der jeweils anderen Sprache voran gestellt. Diese Zweisprachigkeit ist ein großer Gewinn, da dadurch zum einen die Perspektiven und Erfahrungen der Schwarzen Diaspora Teil des deutschen Wissenschaftsdiskurses werden. Zum anderen bietet die Wahl des Englischen die Möglichkeit, die Schwarze Diaspora in Deutschland weiter zu denken sowie transnationale Verbindungen zu anderen Diskursen der Black Diaspora herzustellen.
Kritisiert werden kann, dass die Beiträge des Sammelbandes in einer teils hochkomplexen Wissenschaftssprache verfasst sind. Dadurch verfehlen die Herausgeberinnen und Herausgeber ihr selbstgesetztes Ziel, den Sammelband für ein „breiteres nicht-akademisches Publikum“ (S. 17) zugänglich zu machen, über weite Teile des Sammelbandes. Die Lektüre des Bandes sei daher vor allem jenen empfohlen, die bereits Wissen zur Schwarzen Diaspora in Deutschland mitbringen und dieses durch vielfältige Perspektiven und Erfahrungen erweitern möchten.
Der Sammelband hat einen hohen gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Wert. Zum einen schafft er es, einen facettenreichen Überblick über die Schwarze Diaspora in Deutschland zu geben, und verweist dabei mutig auf neuere Ansätze, um bereits geleistete Forschung weiter-, beziehungsweise quer zu denken. Diese offene Diskussion lädt auch zukünftige Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dazu ein, die Schwarze Diaspora sowie ihre transnationalen Verbindungen zu erforschen. Es bleibt sehr zu hoffen, dass neue Forschungsprojekte entstehen, damit die Schwarze Diaspora sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftspolitisch Teil eines breiten, offenen Diskurses in Deutschland wird. Notwendig dafür ist es auch in Zukunft, Fragen zu stellen, zu unterwandern und zu benennen, neu zu denken und zu schaffen sowie bestehende Strukturen zu stören – Strategien, die der Sammelband bereits selbst nutzt.
English Abstract
Black Subversion: Historical and Contemporary Perspectives on the Black Diaspora in Germany
The bilingual anthology The Black Diaspora and Germany / Deutschland und die Schwarze Diaspora provides insights into the experiences of the Black Diaspora in Germany as well as links to the international Black Diaspora. Contributions in the form of essays and interviews come from scientists, activists, and cultural professionals as well as contemporary witnesses. Historical perspectives and experiences of the Black Diaspora are complemented by contemporary ones. Topics of the anthology include historical overviews as well as reports of individual experiences, forms of Black activism in Germany, the connection between racism and nation, the position of Black people in cultural production, and the need for gendering the Black Diaspora.
Copyright 2019, JEANETTE OHOLI. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).