Assoziationen in BeTRACHTung: Der Grazer Trachtensaal in einer kulturwissenschaftlichen Analyse

 

Eine Rezension von Tobias Haberkorn (tobias.haberkorn@gcsc.uni-giessen.de)

International Graduate Centre of the Study of Culture (Giessen)

 

Katharina Eisch-Angus (Hg.): Unheimlich heimisch. Kulturwissenschaftliche BeTRACHTung zur volkskundlich-musealen Inszenierung (Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie/ Sonderband) Graz, Loecker-Verlag 2016. 268 Seiten, 29,90 EUR. ISBN: 978-3-85409-806-5.

 

Abstract

Bürgerliche Vorstellungen über die Frage wie man auszusehen habe, welche Kleidung man tragen solle um sich zugehörig zu fühlen, können durchaus Angst machen. Auch die Ausstellungsorte zu diesen Vorstellungswelten, wie im Trachtensaal des Grazer Volkskunde Museum mit der Präsentation von Figuren, bekleidet mit traditioneller steierischer Tracht, erzeugt bei seinen Besuchern Angst. Der Trachtensaal ist, vor dem Hintergrund seiner Entstehung, ein Ausdruck des Umbruches zur Industriegesellschaft und geht einher mit Modernisierungsängsten und dem daraus angenommen Traditionsverlust von der Museumsleitung der 1930er Jahre. Die Autoren des Sammelbandes wollen sich diesen Ängsten und der Tradition dieses Ortes mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen annähern und eröffnen dabei ein breites Spektrum zum Thema Tracht.

 

 

Rezension

Dieser Sammelband mit 21 Beiträgen (Essays, Aufsätzen, Dokumentationen, Dialogen und anderen Formaten) hat seinen Ursprung in einem Projektseminar, das im Jahr 2015 über zwei Semester an dem Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie an der Universität Graz unter dem Titel: „Der steierische Blick. Ästhetische Performanz und die Volkskunde“ stattfand. Mit dem Grazer Volkskunde Museum bestand dabei eine enge Zusammenarbeit, da dieses zeitgleich die Ausstellung „Unheimlich heimisch. Wege zum Trachtensaal“ zeigte. Das bringt es mit sich, dass die Autoren in dem Sammelband Studierende, Dozent_innen und Mitarbeiter_innen des Museums sind. In den beiden Titeln der Veranstaltungen sind auch die entscheidenden Begriffe enthalten, mit denen sich das Buch beschäftigt: einerseits mit dem Trachtensaal und dessen zwischen 1936 und 1938 entstandenen 42 Figuren des Grazer Volkskundemuseums, und andererseits mit Kleidung und Tracht im Allgemeinen, wo verschiedene Zugängen konzeptualisiert werden.

 

Der methodische Anspruch ist hierbei, sich diesen traditionell volkskundlichen Themen mit kulturwissenschaftlichen Methoden zu nähern und dadurch die Dialoge und Arbeitsprozesse zu dokumentieren. Dies sieht man unter anderem daran, dass Forschungstagebücher, Seminarprotokolle und Interviews für mehrere Beiträge die Hauptquellen sind. Somit sollen die eigenen Sinn- und Vorstellungswelten der Seminarteilnehmer_innen mit ihren verschieden Assoziationen zu den Figuren und der Tracht ergründet werden. „Entstanden ist daraus ein methodisches Experiment der ethnografischen Sinndeutung“ (S.9). Im Sammelband sind aber nicht nur kulturwissenschaftliche, sondern auch klassische historische, kunsthistorische, soziologische- und volkskundliche Beiträge enthalten.

 

Der Beweggrund, sich überhaupt mit den Figuren der Künstler Alexander Silveri und Hans Mauracher auseinanderzusetzen, ist ein generationenübergreifendes Gefühl der Beklommenheit und Angst, das die Figuren, ausgestellt im extra dafür errichteten Saal des Grazer Volkskundemuseum, bei den Besuchern auslöste und auslöst. Diesen Widerspruch in der Ausstellung zu erzeugen, dass Figuren die an Heimat und Tradition erinnern sollen, bei den Besuchern stattdessen ein Gefühl der Angst hervorrufen, lag jedoch nicht in der Intention vom damaligen Auftraggeber und Museumsleiter Viktor Geramb.

 

Die Figuren des Trachtensaals bilden nach Herausgeberin Katharina Eisch-Angus die Besonderheit ab, dass sie sich auf einem Grad der Uneindeutigkeit bewegen. Sie sollen einerseits das Heimische abbilden, doch ihre eher primitiv und reduziert wirkenden Gesichter, die nicht aus der Kunstwelt der hohen Bürgerlichkeit stammen, erzeugen durch ihre Blicke Gefühle von Angst und Unsicherheit bei den Betrachtern. Durch dieses Paradox wird weiteren Assoziationen wie Scham, Fremdheit, Unheimlichkeit, Tod, aber auch im geringeren Maße Vertrautheit Raum gegeben, die in Gruppengesprächen des Seminars, im Band teilweise wiedergegeben und analysiert werden. Gesellschaftliche und aktuelle Modeassoziationen, das Wirken von Tracht auf Flüchtlinge und das Erzeugen von Identität im bürgerlichen ideologischen Werdegang, sowie die Nutzung/Missbrauch der Tracht im Nationalsozialismus werden bei Claudia Größ, Judit Hafner, Hans-Peter Weingand und Friedmann Derschmidt thematisiert.

 

Die Beschreibung der verschiedenen Assoziationen, und die Frage woher die Angst kommt oder was für den ein oder anderen an der Tracht vertraulich wirkt, wird im Beitrag von Susanne Schicho erörtert. Assoziationen, dass der Trachtensaal wie ein Mausoleum wirke, wie eine Ahnengalerie oder die Ausstellung einem Totenbesuch gleicht, werden aufgezeigt. Ein zentraler Begriff hierfür ist die Aura, welche die Figuren besitzen und in diesem Kontext als ein „Dazwischen“, als etwas Uneindeutiges klassifiziert wird, das die Figuren in ihrer Wirkung auf die Betrachter ausstrahlen. Die Figuren stehen zwischen Leben und Tod und so tritt ein Wechselspiel der Wahrnehmung auf, das bei den Betrachtern das oben beschriebene Unwohlsein erzeugt.

 

Die weiblichen Akteurinnen in der Trachtenwelt der Steiermark, z.B. Melitta Maieritsch, die für die Schneiderarbeiten im Trachtensaal zuständig war und bei theoretischen Ansätzen der NS-Vorstellung und Propaganda zur Tracht prägenden Einfluss hatte, klingen leider nur kurz an. Dabei fällt ebenso auf, dass Entstehung und Werdegang der präsentierten Kleidung im Vergleich zu den 42 Figuren wesentlich weniger akribisch aufgearbeitet und präsent sind. Zwar wird oft auf die Assoziationen von Furcht, Angst und Horror verwiesen und ein Vergleich zum Film „Der Glöckner von Notre-Dame“ erwähnt, die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Horrorgenre fehlt jedoch. Vermehrte Redundanzen der Basisinformationen zum Volkskundemuseum treten auf und nehmen bisweilen sehr viel Raum ein. Für ein punktuelles Lesen ist dies positiv, doch die Leser_innen, die sich durchgehend dem Buch widmen, werden dies als hemmend für den Lesefluss empfinden.

 

Der Sammelband und die in ihm enthaltenen Aufsätze haben zu bestimmten Themen unterschiedliche Deutungsangebote, die auch offen im Widerspruch zueinander stehen, sodass eine gewinnbringende Spannung erzeugt wird. Ein Beispiel ist das Ausstellungskonzept des Trachtensaales, das ein ‚Museum im Museum´ sei, da es bewusst und kritisch die Ausstellung der 1930er Jahre, nach der Vorstellung von Viktor Geramb zeigt. Dabei stehen die Auffassungen von Roswitha Orač-Stipperger und Hans-Peter Weingand (S.54f. u. 246f.) ob dies aufgeht oder nicht, einander konträr entgegen. Das macht den Sammelband sehr lebendig und die wiedergegeben Seminarsitzungen, mit den ausführlichen Schilderungen der Assoziationen zu Trachtenkleidung und den Figuren, lassen das Gefühl aufkommen bei den Diskussionen anwesend zu sein. Man beginnt die eigenen Auffassungen zum Thema Tracht zu hinterfragen. Zudem ermöglichen die Fotos zu den Figuren, Ausstellungen, Trachten und Kollagen, die sehr ausgiebig vorhanden und an die Texte angeschlossen sind, der Leser_in durch ihre Illustration eigene Vergleiche und Vorstellungen anzustellen.

 

Die Frage, warum die Tracht in der Steiermark so lebendig sei und immer noch getragen wird, wird mit ihrer stetigen Veränderung und Neuinterpretation beantwortet, was ebenso für das wissenschaftliche Arbeiten gilt und im Band enggeführt wird. So bietet die hier geschaffene Verbindung aus volkskundlicher Thematik und kulturwissenschaftlichen Methoden ein breites Forschungsfeld auf und die befruchtenden neuen Ansätze für beide Fächer greifen gelungen ineinander.

 

English Abstract

Associations in Perspective: The Graz Trachtensaal and the Analysis of its Cultural Background

Bourgeois ideas about how to look, such as what clothes to wear to belong to a certain social class, can induce fear. The Trachtensaal in Graz with its display of figures and clothing of the bourgeois imagination is an expression of the upheaval during the transition to an industrial society. As such, it is associated with the fear of modernization and disappearing traditions that the management of the Volkskundemuseum in the 1930s had. The authors of the collection Unheimlich heimisch want to approach this fear and the tradition of the Trachtensaal with methods from the study of culture and thereby open a broad spectrum of research on the subject of Tracht.

 

 

Copyright 2019, TOBIAS HABERKORN. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).