Vom Werden und Vergehen der Objekte in Museen
Eine Rezension von Tobias Haberkorn (tobias.haberkorn@geschichte.uni-giessen.de)
Justus-Liebig-Universität Gießen
Fayet, Roger: Die Logik des Museums. Beiträge zur Museologie. Baden: Hier und Jetzt, 2015. 112 Seiten, 17,99 EUR. ISBN: 9783039193714.
Abstract
In dem Sammelband Die Logik des Museums. Beiträge zur Museologie von Roger Fayet geht es um die Vielschichtigkeit von Ausstellungen in Kunst- und Historischen Museen. Dabei stehen theoretische Fragen zur Arbeitspraxis von Kurator_innen im Vordergrund, angefangen beim Sammeln hin bis zur Aussonderung von Museumsexponaten. Die Zuschreibung von Bedeutung durch die kommunikationstheoretische Mehrdeutigkeit von Objekten sowie deren Platzierung im Raum verweisen dabei auf mögliche Sinngebungen von Ausstellungen. Fayet erläutert und kommentiert zeitnahe Debatten zum Ausscheiden von Museumsobjekten aus Sammlungen oder zur Nachvollziehbarkeit von Autorenschaft in Ausstellungen. Dabei tritt er mit diesem Buch ein für die Entfernung von Objekten aus Museumsbeständen und kritisiert damit museale Sammlungspraktiken.
Rezension
Der Ausgangspunkt von Die Logik des Museums. Beiträge zur Museologie liegt schon mehr als zwölf Jahre zurück. Das Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen des Museologen (und Direktors des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft) Roger Fayet, die zwischen 2005 und 2015 in verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden erschienen sind und hier in überarbeiteter Version zusammenkommen. Gegliedert ist der Band in fünf Aufsätze, die Stellung beziehen zu aktuellen theoretischen Grundlagen der Museologie, Fragen des Sammelns von Objekten, Ausstellungskonzeptionen, deren Bedeutungsgenerierung sowie der ethischen Verantwortung bei der Aussonderung von Objekten.
Im ersten Aufsatz „Der Abfall und das Museum“ werden die Gegenpole von Objekten im Museum und auf Mülldeponien im Prozess des Sammelns und deren Bedeutungszuschreibung gegenübergestellt. Zu beobachten ist dabei im Kontext der Modernisierung und der prägnanter werdenden Veränderungen und kulturellen Angleichungen, welche Bedeutung Objekten verliehen wird, um ein Abbild von Realität zu erzeugen. Was das Sammeln theoretisch für Fayet vorantreibt, ist eine Verbindung der Bedürfnisse von Kontinuität und Fremdheit, welches Kurator_innen erschaffen und Besucher_innen erleben wollen. Dieses begründet er durch das Zusammendenken der Musealisierungstheorie von Hermann Lübbe und Gottfried Korffs Haltung zum Erleben des kulturell Anderen im Museum. Zugleich vertritt er die These, dass die Musealisierung eine kompensatorische Wirkung auf die Modernisierung hat und bei stetiger kultureller Angleichungen den Besucher mit dem Fremden und dem Fremdgewordenen in Beziehung zu setzen vermag.
Im zweiten Artikel „Theorie der Mehrfachzeichen“ erörtert Fayet sein semiotisches Verständnis von Museumsobjekten, die gleichzeitig in mehreren Bedeutungshorizonten zu liegen scheinen. Angeschlossen an diesen Befund sind Fragen nach den Folgen für die Ausstellungen und die Vermittlung von Inhalten. Unter kommunikationstheoretischem Bezug auf Ferdinand de Saussure wird erläutert, dass im Museum hauptsächlich eine objektgebundene Kommunikation stattfindet. Darin werden drei wesentliche Unterschiede zur Sprache hervorgehoben: Zunächst dass die objektbasierte Kommunikation in Ausstellungen materiell gebunden ist; dass sie zudem nicht linear abläuft; und schließlich dass Objekte immer von Beginn an mehrere Zeichen/Merkmale aufweisen, die unterschiedlichste Deutungen zulassen. Für den_die Kurator_in stellt sich jetzt die Schwierigkeit, was von diesem Konglomerat an Zeichen bei den Besucher_innen ankommt und wie es interpretiert wird.
Genau diese Bedeutungsgenese in Ausstellungen wird im Aufsatz „Sprechen oder Schweigen“ vertieft. Fayet führt das Erzeugen von Sinn anhand verschiedener Techniken aus, etwa dem Positionieren der Objekte im Raum oder textlicher Gestaltung. Das Spezifikum von Objekten in Ausstellungen ist, dass sie im Vorübergehen der Besucher erlebt und wahrgenommen werden. Im Museum soll nun durch die Anordnung der Objekte eine Atmosphäre eines „Thing“ (Treffens, Zusammenkommen) erzeugt werden, in der über „das Ding“ – das Museumsobjekt – von der Besucher_innenseite her gesprochen wird. Verwiesen wird hierzu auf spezifische Modelle von Arrangements der Objekte nach stilistischer oder thematischer Ausrichtung in Kunstmuseen gemäß Nicholas Serota. Das Zusammenspiel der Objekte im Raum mit Texten und anderen Musealien läuft für den Autor in der Frage zusammen, was man bei den Besucher_innen mit diesen Techniken erzeugen und erreichen will. Dieses Erzeugen und Interpretieren von Kontext und Sachverhalt in Ausstellungen wird für verschiedene Museumsformen beschrieben.
Eine weitere Position in der aktuellen Debatte um Museumsobjekte beschreibt der fünfte Text „Jenseits von Nimmerland“. In diesem wird diskutiert, ob Objekte generell bewahrt oder deren Entfernung aus Museumsbeständen vollzogen werden soll. Im Spiegel einer ideell-konservatorischen Position (das heißt, alles Gewesene bewahren zu wollen), befasst sich der Autor im rein ethischen Maßstab mit diesem Problem. Er beantwortet diese Frage im Lichte der zu Beginn erwähnten Musealisierungsthese von Lübbe und im Horizont der Gesinnungs- und Verantwortungsethik Max Webers, in denen sich ein moralisches Ideal für die Unveräußerlichkeit von Objekten und eine verantwortliche Handlungsweise für das materielle Kulturerbe gegenüberstehen. Zwischen dem Aufnehmen und Abgeben von Objekten in das Museum ergibt sich für den Autor kein Unterschied. Er plädiert nach dem ethischen Codex des ICOM (The International Council of Museums) für die Abgabe der Objekte nach dessen Vorgaben.
Zu Recht versteht sich das Werk als eine Art Handreiche für Kurator_innen. Durch die Behandlung von praktischen Fragen des Kuratierens von Ausstellungen liefert es anschauliche, praxisorientierte Beispiele mit ihrer theoretischen Herleitung. Als Einsteigerwerk ist es jedoch nicht zu verstehen, da etwa durch den Einbezug von Kommunikations- und Sozialtheorien nach Latour und Foucault einiges an Vorwissen gefordert wird. Zum Teil nimmt die theoretische Herleitung der Fragen in den Aufsätzen größeren Raum ein, als die Bearbeitung der klaren praktischen Anwendung für Kunst- oder Historische Museen. Die Romanvergleiche und detailreichen Beschreibungen des Autors helfen hierbei in gelungener Weise, die Kernfragen und Prozesse stets im Auge zu behalten. Stilistisch zu bemängeln wäre jedoch, dass für Museums-Ausstellungsobjekte kein einheitlicher Begriff gesetzt wird. Oftmals tauchen „Ding“, „Exponat“ oder „Gegenstand“ nebeneinander auf, ohne sie dabei analytisch getrennt voneinander zu betrachten. Zudem reißt Fayet die angesprochene Musealisierung in der Postmoderne nur kurz an, anstatt sie in einem eigenen Aufsatz ausführlich zu behandeln. Zu aktuellen Debatten rund ums Museum und den praktischen Verfahren zur Ausstellungspraxis liefert das Buch jedoch detailreiche und tiefgreifende theoretische Grundlagen, die sich auf Historische- wie auf Kunstmuseen beziehen lassen. Bis auf wenige, kleine Abstriche also eine überaus lohnenswerte Anregung zum Weiterdenken.
English Abstract
On Becoming and Vanishing of Museum Objects
The edited volume Die Logik des Museums. Beiträge zur Museologie by Roger Fayet deals with exhibitions in art and history museums as a multi-layered phenomenon. Focusing on theoretical discussions of the practical aspects of the curatorial business, Fayet analyzes modes of collecting and discarding museum objects. The attribution of meaning based on the communicational ambiguity of objects as well as on their mode of positioning refers to the possible interpretations of exhibitions. Fayet elaborates and comments on the debates tied to the discarding of museum objects and the comprehensibility of authorship within the museum context. He argues against the removal of objects from museum collections and is therefore critical of their collecting concepts.
Copyright 2017, TOBIAS HABERKORN. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).