Zum Sterben schön? Zum Wandel der Bestattungskultur in der Sonderausstellung „Leben mit dem Tod. Über Abschied, Tod und Trauer“
A Report by Saskia Ketz (s.ketz@hbksaar.de)
Hochschule der bildenden Künste Saar
Saskia Ketz: „Zum Sterben schön? Zum Wandel der Bestattungskultur in der Sonderausstellung ‚Leben mit dem Tod. Über Abschied, Tod und Trauer.‘“ In: KULT_online 71 (2025).
Die
Radieschen von unten betrachten, in Frieden ruhen, ins Gras beißen, in die
ewigen Jagdgründe eingehen oder sanft entschlafen – die Euphemismen für
den Exitus und den Tod sind vielfältig und zeugen zugleich von einer
Distanz zu den Themen Sterben, Tod und Trauer in unserer westlichen
Sprachkultur. Die Sonderausstellung „Leben mit dem Tod. Über Abschied, Tod
und Trauer“ hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Entwicklungen und
Veränderungen der christlichen Bestattungskultur der letzten 300 Jahre
nachzuzeichnen und insbesondere mit regionalem Bezug darzustellen. Damit
einher geht das Sichtbarmachen von Formen des Abschieds und der Trauer.
Die vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes
Nordrhein-Westfalen geförderte Ausstellung gliedert sich in drei Räume,
deren Betreten durch das architektonische Raumgefüge chronologisch
vorgegeben ist. Zu der Ausstellung ist eine Begleitbroschüre erschienen.
Ein zeitgenössisches Memento Mori
Die Besucher_innen werden einleitend mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Als zentrales Element des ersten Ausstellungsraumes wird das Projekt „Ein Koffer für die letzte Reise“ in Texten, Bildern und Exponaten vorgestellt. Im Rahmen dieses Projekts, welches von Pütz-Roth Bestattungen und Trauerbegleitung aus Bergisch Gladbach initiiert und umgesetzt wurde, haben 103 ausgewählte Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Berufs einen persönlichen Koffer gepackt, der „sie auf der Reise aus diesem Leben begleiten könnte“, so die Textinformation innerhalb der Ausstellung. In diesem Zusammenhang richtet sich ein partizipatives Angebot an die Besucher_innen, das es ermöglicht, vor Ort einen exemplarischen Koffer zu packen und um Schildchen mit individueller Beschriftung zu erweitern (Abb. 1 und 2).
Abb. 1 und 2: Ausstellungsansichten Teilhabe d. Besucher_innen, Projekt „Ein Koffer für die letzte Reise“, Foto: Saskia Ketz
Offen bleibt, welches Ziel diese mögliche Reise hat und welche Vorstellungen vom Lebensende damit verbunden sind. Die Ausstellung informiert daher im unmittelbaren Anschluss über christliche Jenseitsvorstellungen, das Fegefeuer und präsentiert verschiedene Ars moriendis, mittelalterliche Erbauungsliteratur. Aus zeitgenössischer weltlicher Perspektive zeugen Testamente, Vorsorgeverträge, Ratgeber und Checklisten von der bürokratischen Auseinandersetzung mit dem Lebensende. Diese Art der Vorsorge wird auch mit der Abnahme des Glaubens und dem Rückgang religiöser Rituale im Kontext von Tod in Verbindung gebracht.
Der folgende Raum widmet sich den Themen der Bestattungs-, Friedhofs-, und Erinnerungskultur. Verschiedene Exponate veranschaulichen hier den Wandel der Grabgestaltung und die Verlagerung der Friedhöfe von den Kirchhöfen zu kommunalen Bestattungsorten außerhalb des Stadtkerns. Dies ging auch mit einem wachsenden hygienischen Verständnis einher. Die Ausstellung setzt sich auch mit den Herausforderungen des heutigen Friedhofs auseinander. Veränderungen in der Friedhofskultur sind notwendig, um einer mobilen, pluralisierten und individualisierten Gesellschaft und ihren Ansprüchen an das eigene Ableben zu entsprechen. Neben Aschediamanten werden auch die Konzepte der Reerdigung (Zersetzung des Körpers durch Mikroorganismen zu Humus), des Friedwaldes und der biologisch abbaubaren Urnen als nachhaltige und natürliche Bestattungsformen thematisiert. Ebenso geht die Ausstellung auf interkulturelle Bestattungen und religiöse Unterschiede in einem kurzen Überblick ein. Einen wichtigen Beitrag zur heutigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod und dem der Angehörigen leisten die praktischen Informationen über den Ablauf des Prozesses vom Exitus bis hin zur eigentlichen Bestattung. Der Vorgang der Kremation wird von seinen Anfängen bis zur automatisierten Einäscherung wie im Krematorium Baumschulenweg in Berlin multimedial visualisiert. Als architektonisch besonders hervorzuhebender Bau war dieses Krematorium auch Drehort für verschiedene nationale und internationale Filmproduktionen.
Berufe
des Todes
Seit der Industrialisierung und dem damit verbundenen Wandel des
Zusammenlebens professionalisiert sich das Bestattungswesen zunehmend und
übernimmt Aufgaben in der Versorgung der Verstorbenen, die zuvor von
Angehörigen, Nachbar_innen oder Vertreter_innen der Kirche ausgeübt
wurden. Bestattungsunternehmen entwickeln sich aus ehemaligen
Schreinereien, deren Aufgabe ausschließlich in der Herstellung von Särgen
bestand. Verschiedene andere Berufe etablieren sich, wie zum Beispiel der
des Sargträgers, wie die aktuelle Uniform in Abbildung 3 zeigt.
Abb. 3: Ausstellungsansicht Uniform eines Sargträgers, Foto: Saskia Ketz; Abb.4: Ausstellungsansicht historische Haarbilder, Foto: Saskia Ketz
Private
Trauer- und Erinnerungsartefakte
Der Ausdruck der objektbezogenen Erinnerung aus historischer Perspektive
zeigt sich insbesondere in einer größeren Auswahl historischer Haarbilder
aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Abb. 4). Haarbilder, also
gerahmte Wandbilder, die aus menschlichem Haar gefertigt wurden, dienten
der privaten Erinnerung an Verstorbene. Ausschlaggebend für die emotionale
Verbindung ist die Authentizität des Haares. Das Haarbild wandelt sich
somit von einem Schmuckbild zu einem Objekt der Erinnerung mit emotionaler
Bindung. Das Haarbild besitzt neben der visuellen auch eine haptische
Erfahrbarkeit. Der Prozess des Erfühlens ist gleichzusetzen mit
dem Ausdruck des Gefühls. Der Trauerschmuck und die Beständigkeit
des Haares dienen hierbei als Ausdruck ewiger Verbundenheit. Besonders
hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang und im Kontext der gesamten
Ausstellung die zahlreichen Leihgaben von privater und institutioneller
Seite, die diese Sonderausstellung in weiten Teilen mittragen. Private
Leihgaben zeigen sich auch in der Vielzahl von persönlichen
Erinnerungsobjekten, zu deren Beitrag in Vorbereitung der Ausstellung
explizit aufgerufen wurde. Als institutionelle Unterstützung ist vor allem
das Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu nennen. Das 1992 eröffnete
Museum für Sepulkralkultur widmet sich den Themenfeldern Sterben, Tod und
Trauer sowie Gedenken und Bestattung und bemüht sich in seiner
Dauerausstellung um eine transkulturelle Perspektive auf den Tod. Es ist
landesweit das einzige Museum, das sich in dieser Intensität und Dauer mit
dem Tod auseinandersetzt.
Die vielen Leihgaben lassen sich als Stärke und unterstützendes Moment dieser Sonderausstellung hervorheben. Insbesondere die privaten Leihgaben fördern den regionalen Bezug und zeugen von der gelebten Bestattungskultur am Niederrhein. Sie sind hilfreich, um der Tabuisierung des Todes zielgruppengerecht entgegenzutreten. Allerdings wirken sie zum Teil beliebig zusammengestellt, sodass keine wirkliche Fokussierung stattfindet. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Versuch, das universelle Thema Tod zu allen Zeiten und aus unterschiedlichen kulturellen Blickwinkeln darzustellen.
Gestaltung
des Todes
Der letzte Ausstellungsraum ermöglicht eine multimediale
Auseinandersetzung mit dem Tod sowie eine kindgerechte Aufbereitung des
Themas. So bietet eine Leseecke Begleitliteratur speziell für Kinder und
ein Zeichentrick-Kurzfilm stellt den Tod als treuen und friedlichen
Begleiter dar. Ein Sargrohling kann bemalt und mit schriftlichen
Botschaften versehen werden (Abb. 5). Der dortige Ausspruch „Alles war
schön und nichts tat weh“ lässt ein anderes Verständnis des Todes bei
Kindern vermuten, das der zeitweisen Pathologisierung des Todes durch
Erwachsene entgegenzustehen scheint.
Abb. 5: Ausstellungsansicht, Teilhabe d. Besucher_innen, Sarggestaltung, Foto: Saskia Ketz
Eine Hörstation mit audiovisuellen Beiträgen konzentriert sich auf zeitgenössische Musiker_innen, die sich in ihren Liedern mit den Themen Tod, Abschied und Trauer auseinandersetzen. Gleichzeitig bietet dieser Raum die Möglichkeit des aktiven Einbringens. Die Besucher_innen wurden eingeladen, sich bewusst mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen und ihre Gedanken dazu, was von ihnen bleiben soll, schriftlich zu fixieren (Abb. 6 und 7). Das Ende der Sonderausstellung „Leben mit dem Tod. Über Abschied, Tod und Trauer“ schließt somit konsequent an ihren Anfang an, indem sie die Besucher_innen dazu animiert, sich nicht nur passiv, sondern auch aktiv mit dem Tod und seinen angrenzenden Themen auseinanderzusetzen. Dies geschieht insbesondere über die eigene Sterblichkeit, die oft ebenso tabuisiert wird wie der Tod der Anderen. Die Ausstellung besitzt somit auch appellativen Charakter.
Abb. 6 und 7: Ausstellungsansicht Teilhabe d. Besucher_innen, eigene Endlichkeit, Foto: Saskia Ketz