Was leisten „Digital Humanities“? Eine neue Einführung schafft Orientierung

 

Eine Rezension von Melanie Grumt Suárez (melanie.grumt-suarez@gcsc.uni-giessen.de)

International Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)

 

Jannidis, Fotis; Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hg.): Digital Humanities. Eine Einführung. Stuttgart: J.B. Metzler, 2017. 370 Seiten, 29,95 EUR. ISBN 978-3-476-02622-4.

  

Abstract

Die aktuelle Publikation Digital Humanities. Eine Einführung von Fotis Jannidis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein (2017) gibt einen Einblick in das große Feld „Digital Humanities“. Diese Einführung versammelt in übersichtlicher Form die Entwicklungen der letzten 50 Jahre dieses interdisziplinären Forschungsfeldes. Dank der Expertise verschiedener Fachvertreter_innen der Literaturwissenschaften, Mediävistik, Kunstgeschichte, Historisch-Kulturwissenschaftlichen Informationsverarbeitung, den Bibliothekswissenschaften, Data Studies, der Digitalen Editorik und Computerphilologie bietet die Einführung wertvolle Anregungen für das Selbststudium.

 

 

Rezension

Das interdisziplinäre Forschungsfeld Digital Humanities (DH) ist heute ein fester Bestandteil der Professurenlandschaft in Deutschland. Jährlich werden neue DH-Studiengänge gegründet und die Professionalisierung wird kontinuierlich vorangetrieben. Doch wie ist diese Entwicklung einzuordnen? Seit wann gibt es die DH? Was sind die DH genau und was machen sogenannte „Digital Humanists“? Die aktuelle Einführung von Fotis Jannidis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein gibt hier Antworten.

 

Die Herausgeber haben sich zum Ziel gesetzt, „einen Überblick über die Wissensbestände und Denkverfahren [zu] geben, die sich in den letzten rund fünf Jahrzehnten in diesem Forschungsfeld etabliert haben.“ (S. XI). Sie liefern eine gelungene deutschsprachige Wissensquelle auf 370 Seiten und verweisen dabei auch auf einschlägige Grundlagentexte aus den 2000er Jahren (z.B. Schreibmann/Ray/Unsworth aus dem Jahr 2004, in Auswahlbibliografie, S. 361-362). Mit ihrer jeweiligen Expertise aus der Computerphilologie und der Neueren Deutschen Literaturgeschichte (Jannidis), der Kunstgeschichte (Kohle) und den Digital Humanities (Rehbein) stellen sie ein ansprechendes und breites Angebot an Inhalten zusammen. Neben den drei Herausgebern trägt ein elfköpfiges Expert_innen-Team aus interdisziplinären Fachrichtungen zu einer breiten Abdeckung des Themenfeldes bei. Die Liste der Autor_innen und das Inhaltsverzeichnis deuten bereits das „anregende Spannungsverhältnis zwischen Geisteswissenschaften und Informatik“ (S. XI) an.

 

Die Einführung ist in fünf Themengebiete aufgeteilt und spannt einen weiten Bogen von den Grundlagen, der Datenmodellierung zu den Digitalen Objekten, Digitalen Methoden, und schließt mit einem Kapitel zum Recht und der Ethik in den DH ab. Die theoretischen und geschichtlichen Grundlagen werden ausführlich behandelt (S. 3-95). Andere Zwischenkapitel führen ein in Programmiersprachen (Schwerpunkt Python, S. 68-95), legen Netzwerkanalysen in z.B. Romanen dar (S. 157-161) oder erklären Digitalisierungsverfahren von Texten, Objekten, Tonträgern und Artefakten (S. 179 ff.). Ferner werden auch Geografische Informationssysteme (GIS) (S. 299 ff.) und digitale Simulationen (S. 323-327) erläutert. Abbildungen von beeindruckenden 3D-Rekonstruktionen von z.B. Dachgauben zeigen technische Möglichkeiten für Computer Aided Architectural Design auf (S. 320). Für ein Publikum, das sich über Publikationsmodelle informieren möchte, sind die Kapitel Digitales Publizieren und Open Access (S. 199-205) sowie Recht und Ethik (S. 345-357) lesenswert. Dort wird z.B. auch kurz auf das Urheberrecht in den USA eingegangen (S. 350).

 

Ein gelungener Coup der Einführung ist die Einbettung von Nutzungsszenarien, die zum Experimentieren einladen. Beispielsweise stellt Christoph Schöch in dem Kapitel „Quantitative Analysen“ (S. 279-298) u.a. Verfahren der Stilometrie vor (vgl. S. 292-296). Schöch verweist in diesem Zusammenhang auf jüngste Errungenschaften in der Geschichte mit dem stilometrischen Distanzmaß „Delta“ (S. 292). Verkürzt gesprochen ist dies ein Verfahren des Close und Distant Reading, um qualitative Urteile über einen literarischen Text im Verhältnis zu einer großen Anzahl von Vergleichstexten mit statistischen Methoden zu bilden. Somit können unter anderem Autorschaftsattribution und weitere Fragen der Gattungs- und Epochenzugehörigkeit untersucht werden. Besonders positiv an diesem Nutzungsszenario ist sowohl das Vorhandensein einer konkreten Forschungsfrage zu bewerten, als auch das fachdidaktisch vorbildliche Auslegen der Ergebnisse.

 

Ihrem ambitionierten Anspruch, einen „Überblick über die Wissensbestände“ (S. XI) der DH zu geben, sind die Beitragenden gerecht geworden. Nur eine kleine Einschränkung ist anzumerken: In dem Abschnitt zu den Übersichten der digitalen Sammlungen (vgl. S. 219-220) hätten Zentren, Bibliotheken und Archive stärker im Unterschied zu anderen Arten von Angeboten und Einrichtungen differenziert werden können, wie z.B. Textarchive, Bibliotheken, Repositorien, Infrastrukturprojekten (übrigens hier fehlt CLARIN-D).

 

Das von den Herausgebern erstellte Lehrbuchkonzept erfüllt auch die zu erwartende hohe Qualität der formalen Gestaltung von J.B. Metzler. Das Buch ist sowohl als Softcover als auch schreibgeschütztes E-Book in schwarz-weiß erschienen. Ausgewählte und weiterführende Lektürehinweise und Websites laden zu weiterführenden Studien ein. Zahlreiche Anwendungsbeispiele und kurze Schritt-für-Schritt-Anleitungen unterstützen das experimentelle Arbeiten und schulen analytisches Denken. Die online und zum Download zur Verfügung gestellten Übungsaufgaben samt Lösungsapparat (http://www.metzlerverlag.de/9783476026224) nutzen geschickt die Vorteile einer Hybrid-Publikation. Das Textdesign kann positiv durch den Einsatz von vernünftig gewählten typografischen Hervorhebungen bewertet werden. Zahlreiche Abbildungen und Grafiken in hoher Qualität und Lesbarkeit veranschaulichen die Inhalte.

 

Diese Einführung versammelt und informiert nicht nur über zentrale Entwicklungen und Standards der letzten 50 Jahre in den DH. Es ist ein hervorragendes Nachschlagewerk, das Studierenden interdisziplinärer Studiengänge (wie Computerlinguistik, Kultur-, Literatur-, Sprach-, Geschichts-, Kunst-, Archiv- und Musikwissenschaften sowie Geografie) im unübersichtlichen Feld der DH eine sehr gute Orientierung bietet. Sie kann auch Studierenden der Informatik helfen, Denkstrukturen, Frage- und Problemstellung der ‚traditionellen‘ Geisteswissenschaften besser zu verstehen. Ein rundum gelungenes Lehrbuch.

 

 

English Abstract

What Do “Digital Humanities” Accomplish? A New Introduction Provides Orientation

Fotis Jannidis’, Hubertus Kohle’s, and Malte Rehbein’s current publication Digital Humanities. Eine Einführung (2017) delivers insight into the huge field of “Digital Humanities”. Clearly laid out, this introduction gathers the developments of the past 50 years in this interdisciplinary field of research. Due to the expertise of different professional representatives from the fields of literary studies, medieval studies, art history, historic-cultural information processing, library science, data studies, digital scholarly editing, and computer philology it provides valuable contributions for self-study.

 

 

Copyright 2017, MELANIE GRUMT SUÁREZ. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).