Kann
eine Festschrift feministisch sein?
A
Review by Andrea Zittlau (Andrea.Zittlau@uni-rostock.de)
Universität Rostock
Hannah Fitsch, Inka Greusing, Ina Kerner, Hanna Meißner und Aline Oloff
(Hrsg.): Der Welt eine neue Wirklichkeit geben. Feministische und
queertheoretische Interventionen. Bielefeld: transcript Verlag, 2022. 282
Seiten, 29 EUR. ISBN: 978-3-83-766168-2.
Abstract
Die gesammelten Beiträge der Festschrift für Sabine Hark, deren Engagement für die Queer Studies in Deutschland hier gewürdigt wird, haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, mit feministischen und queertheoretischen Interventionen (wie es im Untertitel heißt) die Welt neu und gerechter zu denken. Sie liefern die Theoriewerkzeuge, die der Machtsensibilisierung dienen sollen, doch bedienen gleichzeitig – und zwangsläufig – akademische Konventionen, die bereits in festgefahrenen Machtstrukturen stecken. So zeigt dieses Buch einmal mehr, wie schwierig es ist, sich von diesen zu befreien.
Review
Der
Welt eine neue Wirklichkeit geben, so lautet der Titel einer
Aufsatzsammlung, die als Festschrift Sabine Hark ‚in Freundschaft‘
gewidmet ist. Die Soziologin Hark zeichnet sich durch ihr besonderes
Engagement im Bereich der queeren Theorie und den Geschlechterstudien aus,
die sie in interdisziplinärer Forschung auch in den deutschen akademischen
Diskurs brachte und dort verankern konnte. In diesem Sinne bietet auch das
Buch Beiträge aus den Kulturwissenschaften, der Ethnologie, Soziologie,
Philosophie, Politologie, den Geschichts- und Medienwissenschaften und der
Psychologie; ein Beweis also, dass die interdisziplinäre Vision Harks
funktionieren kann.
Geschlechterforschung, so heißt es gleich im Vorwort, ist immer auch
Gesellschaftskritik (S. 12) und so unternimmt das Buch eine
Bestandsaufnahme, in die gleichzeitig Visionen eines gerechteren
Zusammenlebens eingebettet sind. Harks Aufruf zu einer „machtsensiblen
demokratischen Lebensweise“ (Hark zitiert in Dietze, S. 55) wird mehrfach
aufgegriffen, zum Beispiel von Gabriele Dietze in ihrem Beitrag zum
ethischen Begehren, im Aufsatz von Johanna Hofbauer und Katharina Kreissl
über gemeinschaftliche Wissenschaftsarbeit und im Text von Judith Butler,
die über die „Ethics of Plurality“ nachdenkt. Wie kann diese Vision
umgesetzt werden? Es geht um Bewusstseinsschärfung (Irene Dölling),
Arbeitsteilung (Rahel Jaeggi), Gegenentwürfe (Mike Laufenberg) und immer
wieder um Wissenschaft als Institution. Der Raum, in dem das Buch denkt
und über den es nachdenkt, ist die Universität. Für diesen Raum ist es
auch ganz eindeutig konzipiert. Auch wenn es schöne, grundlegende
Einführungen in die Theorien gibt, Begriffe wie „ethisches Begehren“ (S.
56) zugänglich definiert werden, Émile Durkheim, Theodor Adorno, Georg
Wilhelm Friedrich Hegel und immer wieder Hannah Arendt zitiert und in den
entsprechenden Kontext eingeordnet werden, ist das Buch für Personen
geschrieben, die sich bereits ausgiebig mit geschlechterkritischen und
queer-theoretischen Kontexten auseinandergesetzt haben, also für Personen,
die sich sicher im akademischen Kontext bewegen, fortgeschrittene
feministische Denker_innen, die dann allerdings die theoretischen Vorlagen
nicht mehr benötigen.
Eine Festschrift feiert zunächst einmal ganz klassisch die Person, der sie
gewidmet ist. Als kanonisches akademisches Genre gibt es hier
Konventionen, die ganz offensichtlich schwer zu brechen sind. So setzen
sich auch die Beiträge dieses Buches vorbildlich mit dem Werk Sabine Harks
auseinander. Die Leser_innenschaft einer Festschrift ist damit vor allem
die gefeierte Person selbst und Personen, die sich mit dem Werk
entsprechend auskennen – ein oft sehr spezialisierter, akademisch scharf
umrissener Kreis. Des Weiteren sind es die beteiligten Autor_innen selber,
die eine Festschrift gewöhnlich dazu nutzen, auf die eigenen Beiträge zur
Wissenschaft hinzuweisen. Das alles ist in gewissem Sinne schon fast
antifeministisch, denn auch nach so intensiven und gut platzieren Rufen
nach Veränderung, zum Beispiel von Sabine Hark selbst, bleibt die
Universität ein Raum, in dem Machtstrukturen vorgegeben und
patriarchalisch ausgelebt werden – von Personen aller Geschlechter –
schließlich geht es hier um Diskurse. Dass selbst kleine,
interdisziplinäre Forschungskollektive als die Ausnahme gefeiert werden,
verstärkt diesen Eindruck noch. Es stellt sich die Frage, ob Beiträge
jenseits der akademischen Konvention eine neue Wirklichkeit hätten
erdenken können. Hierzu sticht insbesondere der erste Aufsatz, verfasst
von Priya Basil heraus. „Blood Lust“ nennt sie ihr Nachdenken über Thomas
Manns The Black Swan (im Original Die Betrogene, 1953), in dem es
um die Menopause geht. Im Vorwort wird schon angekündigt, dass dieser
Aufsatz ein Lesevergnügen ist, auch im ästhetischen Sinne (S. 14). Auch
ein weiterer Beitrag, in dem es um ein literarisches Werk geht, wird hier
gleich zu Anfang gepriesen. In der Tat ist Hanna Hackers Aufsatz zu
Monique Wittig großartig („Le Corps Lesbien wird 50“). Die Einleitung
verbindet diese beiden Texte über das Thema Altern und formuliert salopp:
„Die Sache mit dem Altern ist gar nicht so schlimm“ (S. 14), ein etwas
irritierender Satz, zumal die Protagonistin bei Mann an einer
Krebserkrankung stirbt. Was die beiden Aufsätze jedoch verbindet, ist die
Auseinandersetzung mit literarischen Werken, die tatsächlich dazu in der
Lage sind, die Welt neu zu denken. Während beide Beiträge einen
persönlicheren Ton anschlagen und die Autor_innen darauf verzichten, sich
selbst zu zitieren (im Gegensatz zu allen anderen Beitragenden), bleiben
sie dennoch jenseits ihrer kreativen Möglichkeiten. Und das ist sehr
schade. Denn gerade im schwarzen Feminismus und in inklusiven queeren
Kontexten werden kreative Ansätze immer wichtiger, zum einen, weil sie
Theorien und Denkweisen auf andere Weise zugänglicher gestalten können,
zum anderen, weil es tatsächlich darum geht, eine Welt neu zu denken und
ihr eine neue Wirklichkeit zu geben. Das geschieht nicht, indem frau in
etablierten Konventionen verhaftet bleibt, sondern dann, wenn sie mit
diesen mutig bricht. Das vorliegende Buch zeigt, wie schwer dies ist.
Tatsächlich stellt sich nach der Lektüre die Frage, kann eine Festschrift
feministisch sein? Immerhin ist auch eine Festschrift von Machtstrukturen
durchzogen und da ist es schon fast bedenklich, wenn so ein traditionelles
Medium die Thematik Feminismus und queere Theorie wählt. Die Chance diese
Themenbereiche auf kreativere Weise einer größeren Leser_innenschaft
anlässlich eines Jubiläums zugänglich zu machen, wurde hier zwar
ökonomisch gesehen umgesetzt (es gibt eine kostenlose Open Access Ausgabe
des Buches, was natürlich wunderbar ist), doch inhaltlich und
formatbezogen zeigt das Buch, das sich wirklich noch viel ändern muss, um
die (akademische) Welt neu denken zu können.
English Abstract
Can
a Festschrift be feminist?
This essay collection of the genre of a Festschrift for
Sabine Hark honors her achievement for the field of Queer Studies in
Germany. All contributors write for the ambitious goal to rethink the
world as a place of equity and justice with the help of queer-theory and
feminist interventions (as the title of the book promises). Thus, the
essays provide readers with the tools – theories – that can help to reveal
power structures. However, almost unavoidably, this book follows academic
conventions that are already embedded in power structures and shows
therefore, how difficult it is to dismantle them.
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