Die
sichtbar Unsichtbaren: Visuelle Repräsentation von Hausbediensteten
und Sklav_innen vom Feudalismus zum Kapitalismus
A
Review by Cathérine Annette Ludwig-Ockenfels (Catherine.Ludwig-Ockenfels@unibw.de)
Universität der Bundeswehr (München)
Wolfthal, Diane: Household Servants and Slaves. A Visual History. New
Haven and London: Cale University Press, 2022. 272 pages, 45 USD. ISBN:
978-0-300-23487-9.
Abstract
Diane
Wolfthal widmet sich der Visualisierung von Sklav_innen und
Hausbediensteten in Bildmedien. Die aufgrund ihrer niedrigeren sozialen
Stellung nicht als bildwürdig angesehenen Personen fanden dennoch Eingang
in Auftragsarbeiten oder gingen in den Diskurs der herrschenden Eliten
ein. Wolfthal überblickt den Zeitraum von 1300 bis 1700, um den
gesellschaftlichen Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus aufzuzeigen,
der sich in einer globalisierten Dienerschaft mit verändertem
Rollenverständnis von Dienst auf Lebenszeit zu Beruf niederschlägt.
Review
In
Household Servants and Slaves. A Visual History 1300–1700 widmet
sich die emeritierte Kunsthistorikerin Diane Wolfthal der visuellen
Darstellung von Hausangestellten in Bildmedien. Sowohl in der Forschung
als auch auf dem Kunstmarkt wurden die abgebildeten Bediensteten und
Sklav_innen bisher gänzlich ignoriert. Dieser ‚blinde Fleck‘ in der
Forschung ist erstaunlich, da Bedienstete in den Kunstwerken, welche von
der Kunstwissenschaft untersucht werden, omnipräsent sind. Die
Hausbediensteten wurden als Teil von Gruppen- oder sogar Einzelporträts
dargestellt und sind der Nachwelt somit in Bild und Objekt erhalten. Die
Monographie hat das Ziel, die Bediensteten als soziale Gruppe, die in
Bildmedien und Artefakten marginalisiert wurde, aus dem wortwörtlichen
(Bild)hintergrund in den Vordergrund zu stellen. Wolfthal bedient sich
dabei einer beachtlichen Fülle an Gemälden, Medienarten und Objekten, um
ihrem globalen Untersuchungsanspruch in insgesamt 160 Abbildungen gerecht
zu werden.
Wolfthal verweist auf die bisherige Forschung zur Darstellung von
subalternen Personengruppen besonders auf die niederländische Kunst im 17.
Jahrhundert sowie von Menschen afrikanischer und asiatischer Herkunft in
Gemälden europäischer Provenienz (S. 19). Die bisherige Forschungsdebatte
um diese marginalisierten ‚working class‘-Mitglieder verschiedener Ethnien
möchte die Autorin mit neuen Bildquellen aus anderen Epochen und Gegenden
außerhalb Europas ergänzen, um so ein universales Verständnis von Dienst
und Sklaverei zur frühen Globalisierung deutlichzumachen. Wolfthals Ziel
ist es diesbezüglich anhand der verschiedenen Mediengruppen im
Untersuchungszeitraum „service as shifting, unstable category“ (S. 22)
aufzuzeigen.
Aufschlussreich für den räumlich globalen Ansatz der Untersuchung ist der
epochenübergreifende Zeitraum von 1300 bis 1700. Die in der deutschen
Geschichtswissenschaft feste Epochengrenze um das Jahr 1500 markiert in
dieser Studie die Mitte des Untersuchungszeitraums. Hintergrund für diese
Zeitspanne sei laut der Autorin eine geänderte Wahrnehmung der als
marginalisiert repräsentierten Gruppe im „gradual shift from feudalism to
the dawn of capitalism“ (S. 12), die sie über die eurozentristische
Epochengrenze hinaus gehend formuliert.
Die Untersuchung ist nach der Einleitung in fünf Kapitel nach
Kunstgattungen unterteilt. In „Illuminating the Late Medieval Servant“
stellt Wolfthal die Abbildung von Diener_innen und Dienst in Buchmalereien
in mittelalterlichen Handschriften vor. Sowohl Männer als auch Frauen
werden im Bild marginalisiert. Für Hausarbeit als christlicher ‚Dienst am
Nächsten‘ findet aber auch eine positive Umdeutung statt, indem Frauen aus
der Elite durch Verrichtung niedriger Dienste heiliggesprochen wurden, wie
beispielsweise die Heilige Zita, die ihren Dienst im Haushalt aus
religiöser Hingabe auch auf die Armen ausdehnte. Im letzten Unterkapitel
weist Wolfthal mit dem einzeln dargestellten männlichen Dienern eines
mittelalterlichen Altenstifts bereits auf ein verändertes Dienstverhältnis
hin: Die Personen werden einzeln bei Ausübung in ihrer Tätigkeit
porträtiert, ergänzt durch biographische Hinweise. Dienst wird nicht mehr
im Bezug zum Herrn als feudaler Dienst im Personenverbandsstaat
dargestellt, sondern als unabhängige Lohnarbeit.
In „Servants without Masters“ untersucht Wolfthal anhand von Skizzen und
ausgearbeiteten Porträts, inwiefern ab dem 17. Jahrhundert Diener_innen
als Individuen wahrgenommen wurden, die nicht nur bildwürdig waren,
sondern mit ihren individuellen Gesichtszügen und Körpern dargestellt
wurden. Durch die zunehmende Globalisierung als Folge der Kolonialisierung
Amerikas wurden vermehrt people of colour als Diener_innen oder
Sklav_innen abgebildet, gleichermaßen wurden Menschen afrikanischer,
asiatischer und amerikanischer Herkunft als Personen in hochrangigen
Rollen wie Diplomat und Künstler dargestellt.
In „The Personal Servant“ setzt Wolfthal den Fokus auf die enge Beziehung
zwischen Bediensteten und ihrer Herrschaft. Bedienstete wie die Amme und
Kinderfrau waren höherrangiger als die üblichen Hausbediensteten. Enge,
emotionale Verbindungen zu den Kindern finden in der Porträtwürdigkeit der
Care-giver Eingang. Laut Wolfthal bewahre die Blicklenkung der
Dargestellten aber soziale Distanz zwischen den verschiedenen
Klassenzugehörigkeiten eines Haushalts, da zwischen der Herrscher- und
Arbeiterklasse auf den Bildern kein Blickkontakt bestünde. Wolfthal
bewertet anhand einzelner Fallbeispiele die Beziehung des Künstlers zu
seinen Bediensteten und Sklav_innen sowohl negativ als auch positiv.
Negativ, als dass die persönliche Nähe sexuelle Verfügbarkeit erzeuge, wie
im Fall Rembrandt van Rijns deutlich wird. Als positiv stuft Wolfthal
jedoch die Nähe zum Künstler ein, durch die es möglich war eine eigentlich
standesunangemessene Lehre zu erhalten, das Handwerk eines_r bildenden
Künstlers_in zu erlernen und durch die Berufsfähigkeit sozial
aufzusteigen.
Im vierten Kapitel „Paper Servants“ zeigt Wolfthal auf, wie der Dienst in
den seit der Mitte des 15. Jahrhunderts aufkommenden Druckschriften als
erstes globales Massenmedium mit breiter Rezipientenschicht thematisiert
wird. Sie belegt mit Beispielen aus Mittelamerika, Südostasien und Europa,
dass die Vorurteile der häuslichen Verfügbarkeit von Diener_innen als
Menschen niedrigerer Klasse global verbreitet waren und durch das
beginnende Kolonialzeitalter europäische Werte in die Territorien
ausgriffen womit das globale Phänomen des unterprivilegierten Dienenden
noch durch die Kategorie race verschärft wurde.
Allemal kurios aus materieller Sicht ist das abschließende Kapitel „The
Material Servant“. Diener_innen und Sklav_innen wurden im 17. Jahrhundert
als Personal in Puppenhäusern verewigt. Ihre Arbeitsmaterialien,
Schlafplätze und Werkräume befanden sich jedoch in nicht direkt
einsehbaren Nischen der Puppenräume, was der Architektur von realen
Gebäuden entsprach, in denen es eigene, nicht sichtbare Wohn- und
Arbeitsräume für die Dienerschaft gab. Gleichzeitig gab es sogenannte
‚dummy boards‘, lebensgroße und naturalistisch gemalte Aufsteller von
Diener_innen, die in einsehbaren Räumen und Nischen von Herrensitzen als
optische Täuschung zur Belustigung aufgestellt wurden. Die
Objektifizierung von Sklav_innen arbeitet Wolfthal zudem am Beispiel von
Beistelltischen heraus, deren Tischbein aus einer Skulptur zweier
kniender, schwarzer Männer in Ketten bestand, welche die Tischplatte
trugen.
Das Fazit widmet sich besonders den Themen Intersektionalität und
Unsichtbarkeit. Wenig überraschend macht Wolfthal gender, race
und class als Kategorien in der Analyse von Dienstbarkeit
fruchtbar. Sie stellt fest, dass, indem Dienerschaft marginalisiert
dargestellt wurde, die Hierarchien erhalten blieben, obwohl das Dienen
sich vom feudalen Lehensdienst in Abhängigkeit vom Lehensherrn zu einer
unabhängigen Lohnarbeit hin entwickelte. Die durch den sich kontinuierlich
entwickelnden Kapitalismus und Globalismus ausgelösten gesellschaftlichen
Umwälzungen im Untersuchungszeitraum hätten auch einen ‚gender und race
shift‘ ausgelöst, was Wolfthal daran festmacht, dass nicht länger nur
Männer und Jungen als Diener dargestellt wurden, sondern gegen Ende des
Untersuchungszeitraums vorrangig Frauen und Menschen afrikanischer
Herkunft (S. 13).
Wolfthal holt die übersehenen, in die Ecke gedrängten, und abgeschnittenen
Bediensteten ins Zentrum der Bildanalyse. Ihr Ansatz, sich vielfältigen
Bildarten und Objekten anzunehmen, um sich den Bediensteten in
geographischer und ethnischer Breite anzunähern, lässt ihre Analyse
teilweise zu einer Auflistung werden. Nach Meinung der Rezensentin ist der
nur oberflächlich erfolgende Diskurs über die Bedingungen feudalen
Lehensdienst, Leibeigenschaft und Sklaverei in den Auswirkungen für das
einzelne Individuum die größte Schwäche der Studie. Vor allem, da sich die
mittelalterliche feudale Dienerschaft am Übergang zum Kapitalismus zu
einem Beruf entwickelte, während im gleichen Zeitraum durch die mit der
Globalisierung einhergehenden Liberalisierung der globale Markt an
Sklav_innen des globalen Südens beständig anwuchs. Nichtsdestotrotz ist
diese Studie in ihrer Fülle an Material lesenswert und gibt mit ihrem
globalen Anspruch wichtige Impulse für eine weitere Beschäftigung mit
marginalisierten Gruppen in der Vergangenheit über Bildquellen hinaus.
English Abstract
The
Visible Invisibles: Visual Representation of Servants and Slaves from
Feudalism to Capitalism
Diane Wolfthal analyzes the visualization of slaves and
domestic servants in visual media. Domestic servants found their way into
commissioned works or entered as subject into the discourse of the ruling
elite. Wolfthal surveys the period from 1300 to 1700 to show the social
change from feudalism to capitalism, which is reflected in a globalized
servanthood marked by a changing understanding of roles from lifelong
service to profession.
Copyright 2024, CATHÉRINE ANNETTE LUDWIG-OCKENFELS. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).