Maskulin, Maßgeschneidert: Rebecca Endlers Dimensionen des patriarchalen Designs
A Review by Saskia Ketz (info@saskiaketz.de)
Folkwang Universität der Künste
Endler, Rebecca: Das Patriarchat der Dinge: Warum die Welt Frauen nicht passt. Köln: Dumont, 2022. 334 Seiten, 12 EUR. ISBN: 978-3-8321-6629-8.
Abstract
In
welchen Ausdrucksweisen zeigt sich patriarchale Sprache? Welchen Einfluss
hat geschlechtsspezifische Gestaltung für die Navigation im öffentlichen
Raum? Warum begünstigen Wikipedia-Beiträge, Algorithmen und
Sprachaktivierungssysteme tradierte stereotype Sichtweisen? Das
Erstlingswerk Das Patriarchat der Dinge: Warum die Welt Frauen nicht
passt der freien Journalistin Rebecca Endler nimmt sich diesen
Fragen an und entschlüsselt in neun Kapiteln die materiellen und
immateriellen Entscheidungen des patriarchalen Designs der westlichen
Welt.
Review
In welchen Ausdrucksweisen zeigt sich patriarchale Sprache? Welchen Einfluss hat geschlechtsspezifische Gestaltung für die Navigation im öffentlichen Raum? Warum begünstigen Wikipedia-Beiträge, Algorithmen und Sprachaktivierungssysteme tradierte stereotype Sichtweisen? Wann handelt die Gestaltung von Lebens- und Arbeitswelten, Kleidung oder der Kunstmarkt diskriminierend? Das Erstlingswerk Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt der freien Journalistin Rebecca Endler nimmt sich diesen Fragen an und entschlüsselt in neun Kapiteln die materiellen und immateriellen Entscheidungen des patriarchalen Designs der westlichen Welt.
Im ersten Kapitel „Sprachkonstrukte“ stellt Endler fest, dass die deutsche Sprache vielfältige implizite Geschlechtszuschreibungen beinhaltet, die je nach männlicher oder weiblicher Zuschreibung unterschiedlich konnotiert sind. Ebenso plädiert sie für eine geschlechtergerechte Sprache. Ihre Argumente bekräftigt Endler mit Studien, die belegen, dass Frauen im generischen Maskulin weder mitgedacht noch berücksichtigt werden, auch wenn dies von Verfechter_innen dieser Schreibweise so dargestellt wird. Am Beispiel von Nele Pollatschek, die erklärt, dass das Gendern die Andersartigkeit betont und eine neutrale Sprachentwicklung, ähnlich wie im Englischen fordert, resümiert Endler zur Notwendigkeit einer geschlechtergerechten Sprache bis zu einer gangbaren Alternative.
Das zweite Kapitel „Wem gehört der öffentliche Raum?“ fragt nach sozialen Konstruktionen von diesem Raum und dessen Gestaltungen, die meist von autofahrenden Männern erdacht wurden und bestimmte Personengruppen wie Menschen mit Geh- oder Sehbehinderung, Eltern mit Kinderwagen oder Wohnungslose ausschließen. Auch die Anzahl von legalen, öffentlichen Toiletten, die von allen Geschlechtern benutzt werden können, sei ungerecht verteilt. Im dritten Kapitel stellt Rebecca Endler dar, dass Gendermarketing meist auf Stereotypen basiert und tradierte, patriarchale Sichtweisen begünstigt, die ebenso in Kapitel vier untersucht werden, welches sich mit der Kontinuität von Ungleichheit im digitalen Zeitalter beschäftigt. Bei der Entwicklung einer App beispielsweise, die gesundheitsrelevante Daten speichert und auswertet, vergaßen die beratenden Ärzt_innen und Entwickler_innen Menstruation als Kategorie aufzunehmen, sodass diese App für die Hälfte der Weltbevölkerung nicht vollumfänglich verwendet werden konnte. Ein ähnliches Negativbeispiel stellen Sprachaktivierungssysteme mit meist weiblichen Stimmen dar. Diese Stimmen bleiben passiv, führen Befehle aus und verweigern ihren Dienst nicht, unabhängig davon, in welcher Weise mit ihnen gesprochen wird. Endler sieht hier die Gefahr einer Übertragung der digitalen Welt auf den Alltag, die in letzter Konsequenz Einfluss nimmt auf die Wahrnehmung der weiblich konnotierten Stimme. Ebenso agieren künstliche Intelligenzen oft schematisch, da ihre Foto- oder Textausgabe ein binäres Geschlechtersystem und stereotype visuelle Zuschreibungen bedient. Auch ein Datenbias führe zu einseitigen Ergebnissen in digitalen Systemen, so die Autorin. Sie schlussfolgert, dass neue, technischen Errungenschaften das Brennglas auf Ungerechtigkeiten und Unsichtbarkeiten bestimmter Personengruppen setzen und diese verstärken.
Das fünfte Kapitel konzentriert sich auf die Gefahren, die von Arbeitsplätzen und -geräten ausgehen. Am Beispiel Transport, Landwirtschaft und Handwerk stellt Rebecca Endler dar, dass Maschinen, Werkzeuge, Cockpits und Fahrersitze für Männer konzipiert sind. Die Konsequenz ist jedoch, dass Frauen in bestimmten Berufsgruppen und im Alltag, wenn wir an die Gestaltung des Autoinnenraums denken, einem höheren Unfallrisiko (auch mit tödlichem Ausgang) ausgesetzt sind oder ihr berufliches Potential aufgrund von fehlender Passgenauigkeit nicht vollständig entfalten können. Gleichzeitig stellt Endler fest, dass diesbezüglich erheblicher Forschungs- und Gestaltungsbedarf besteht. Im sechsten Kapitel erläutert sie am Beispiel von fehlenden Taschen an Frauenkleidung, welchen Einfluss dies auf Bewegungsfreiheit, Rollen und Aufgaben innerhalb einer Gesellschaft hat. Ebenso stellt sie dar, wie Kleidung von Politiker_innen mit Macht in Verbindung gebracht wird und welche Erwartungen an die optische Erscheinung von Frauen überwunden werden müssen. Zudem macht sie am Beispiel eines kleidungsbezogenen Gaslightings, welches sich auf das Übertragen von Verantwortung auf Opfer mit einhergehender Entlastung von Täter_innen bezieht, deutlich, welcher gesellschaftlicher Wandel vollzogen werden muss, um diese Denkmuster zu durchbrechen. In Kapitel sieben beschreibt die Autorin anhand des Konzepts der Muse, der Verkaufspreise von weiblicher Kunst und der hochschulbezogenen Ausbildung an Schauspielschulen, wie patriarchale Strukturen im System der Kunst verankert sind. Die Sichtbarkeit von Frauen in Kunstmuseen zeigt sich weniger durch Künstlerinnen, sondern vielmehr durch die Frau im Bild, die von männlichen Künstlern und deren Sichtweise geprägt ist. Die Ausstellung The F*Word. Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg setzt sich mit diesem Missstand auseinander und fragt in ihrem Ausstellungsplakat: „Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Less than 5% of the artists in the Modern Art sections are women, but 85% of the nudes are female.”
Im achten Kapitel argumentiert Endler mithilfe von verschiedenen Studien für die Notwendigkeit von gender- und kultursensibler Medizin während sie im letzten Kapitel selbstkritisch feststellt, dass ihre bisherige Untersuchung in einem binären Geschlechtersystem und einer eurozentristischen Sichtweise verhaftet geblieben ist. Daher appelliert sie daran, Muster eines weißnormierten Designs, einer Ausgrenzung von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und das Streben nach Normierung zu durchbrechen. Rebecca Endler endet mit einem hoffnungsvollen, feministischen Schlusswort, in dem sie auf das Verhalten der nachfolgenden Generationen Bezug nimmt und welches sie hoffen lässt, dass Barrierefreiheit, Teilhabe, geschlechtliche Vielfalt bzw. Toleranz, Gleichberechtigung und geschlechtergerechte Sprache selbstverständlich werden.
Das
Patriarchat der Dinge verbindet historischen Feminismus und
kontextualisiert ihn mit aktuellen Entwicklungen. Neben dem Aufdecken von
Missständen behandelt Endler auch positive Beispiele, wie den
Friedhofsteil Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in
Hamburg, der eine Gegenposition zur Unsichtbarkeit von Frauen im
öffentlichen Raum darstellt. Wie Endler jedoch selbst bestätigt, bleiben
die ausgewählten Beispiele zufällig, sodass sich auch durch die
kapitelbezogene Zuordnung nur bedingt eine Zugehörigkeit ergibt. Diese
journalistische Publikation muss daher als eine Sammlung von Nadelstichen
gesehen werden, an die es gilt, wissenschaftlich und gestalterisch
anzuknüpfen. Es braucht umfassende Forschung und gestalterische Offenheit,
die nicht von alten weißen Männern blockiert wird. In Bezug auf
gestalterische Disziplinen stellt das Buch einen ersten wichtigen Impuls
zur Auseinandersetzung dar, um als Designer_in nicht ebenso stereotype
Denkmuster zu bedienen bzw. zu wiederholen. Design ist Lebenswelt und
besitzt daher auch das Potential, weitgreifende Veränderungen vorzunehmen.
Das Patriarchat der Dinge könnte den Stein ins Rollen bringen.
English Abstract
Masculine,
Customized: Rebecca Endler’s Dimensions of Patriarchal Design
In
which expressions does patriarchal language appear? What is the impact of
gender-specific design for navigation in public space? Why do Wikipedia
articles, algorithms, and speech activation systems encourage traditional
stereotypical perspectives? When does the design of living and working
environments act in a discriminatory manner? The freelance journalist
Rebecca Endler focusses on these questions in her debut book Das
Patriarchat der Dinge: Warum die Welt Frauen nicht passt. In nine
chapters, she examines material and immaterial patriarchal design in the
Western world.
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