Moral als Zeichen ihrer Zeit: Historische und aktuelle Positionen im Spannungsfeld von Design und Ethik bei Christian Bauer

 

A Review by Saskia Ketz (info@saskiaketz.de)

Folkwang Universität der Künste

 

Bauer, Christian. Ethik für Designer. Stuttgart: avedition, 2022. 144 Seiten, 19,00 EUR. ISBN: 978-3-89986-381-9.

 

Abstract

Die Publikation Ethik für Designer thematisiert ethische Grundfragen sowie historische Moralvorstellungen und notwendige zeitgenössische Transformationsprozesse aus gestalterischer Perspektive. Ethische Standards spiegeln sich in zeitlichen und kulturellen Zusammenhängen, auf welche Design reagiert bzw. richtungsweisend agieren sollte. Mithilfe verschiedener philosophischer Theorien zu Ethik, Tugend und Moral bietet der Autor Lösungsvorschläge an und überträgt diese auf das gestalterische Handeln.

 

Review

Die Publikation Ethik für Designer gliedert sich in drei Hauptkapitel, die sich mit ethischen Grundfragen, sowie historischen Moralvorstellungen und notwendigen zeitgenössischen Transformationsprozessen aus gestalterischer Perspektive auseinandersetzen. Christian Bauer ist Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der bildenden Künste Saarbrücken. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich von Design und Ethik bzw. Gestaltung und Haltung, Digitaler Mündigkeit und Design bzw. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung.


Das erste Kapitel definiert moralische und ethische Vorstellungen und hinterfragt die Rolle von Gestaltung in diesen philosophischen Gefügen. Christian Bauer stellt dar, dass spezifische Moralvorstellungen an Raum und Zeit gebunden sind. In dem beschleunigten Wechsel von Lebensrealitäten in der Moderne ändern sich auch moralische Prinzipien. Des Weiteren erörtert er, dass moralische Bewertungen immer kulturspezifisch getroffen werden. So lässt sich die Praktik des Kopierens von Designentwürfen in einem Kulturkreis als wertschätzend und anerkennend deuten, in einer anderen Kultur kann das gleiche Prinzip als Plagiat missbilligt und sogar strafrechtlich verfolgt werden. Gleichzeitig eröffnen verschiedene Wertvorstellungen die Möglichkeit, ethisches Handeln zu reflektieren, um die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen. Christian Bauer schlägt eine Professionsethik für die Disziplin des Designs vor, die zum Beispiel ähnlich wie eine Medizinethik agiert, indem sie Orientierung bietet und verbindliche Regeln schafft. In designorientierten Berufen, die sich aufgrund von Trends und technischem Fortschritt ständig im Wandel befinden, könnte eine angewandte Bereichsethik wichtige Impulse setzen. Darüber hinaus nennt der Autor drei mögliche Zugänge, um sich einer ethischen Entscheidung zu nähern: der tugendhafte Zugang, der aus der persönlichen Haltung der Gestaltenden agiert, das utilitaristische Prinzip, welches vor allem nach dem kausalen Zusammenhang von ethischer Entscheidung und ihrer Folge fragt sowie deontologische Überlegungen, die auf dem Prinzip der Pflichterfüllung von Regeln rekurriert. Das erste Kapitel schließt mit der Erkenntnis, dass eine tugendhafte Haltung allein für Gestalter_innen nicht ausreichend ist. Vielmehr muss diese auch immer im Lichte der untrennbaren sozialen Existenz sowie unter rechtlichen und politischen Bedingungen betrachtet werden. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf die Philosophie Hegels, den er, sowie auch weitere philosophische Schwergewichte, verständlich einbindet.


Das zweite Kapitel untersucht moralische Normen im Kontext der Designgeschichte. Mit den historischen Beispielen der US-amerikanischen Shaker, einer freikirchlichen Glaubensgemeinschaft, deren Haupterwerbsquelle der Bau von funktionalen Möbeln darstellte und durch frühe britische Reformen der Arts and Crafts Bewegung wird deutlich, wie stark Lebensbedingungen bzw. -entscheidungen und Gestaltung miteinander verknüpft sind. Nicht zufällig fällt das Aufkommen des Begriffs Design und die Etablierung von sozialistischen Idealen und Vertretungen von Arbeitsnehmer_innen durch Gewerkschaften in die gleiche Zeit. Die radikalen Überlegungen von William Morris und seine Rückbesinnung auf Einzelstückproduktionen im Verständnis mittelalterlicher Fertigungen müssen jedoch als Utopien betrachtet werden, so der Autor. Als weibliches Beispiel wählt Christian Bauer die Arbeit von Margarete Schütte-Lihotzky und widmet sich in einem eigenen Kapitel ihrem Einfluss auf den sozialen Wohnungsbau in den 1920er Jahren. Die im Zusammenhang des neuen Bauens und den Planungen der Stadt Frankfurt entstandene sogenannte Frankfurter Küche, die erste Einbauküche, stellt einen Meilenstein in ihrem Wirken dar. Mithilfe von arbeitswirtschaftlichen und ergonomischen Erkenntnissen, die kurze Wege, aufeinander abgestimmte Abläufe und die Erhaltung der Gesundheit beinhalteten, ermöglichte die Küche eine zeitliche Entlastung und eine größere Autonomie der Frau. Das damit einhergehende tradierte Rollenverständnis muss jedoch in dieser Zeit verortet werden. Aus ethischer Perspektive sieht der Autor die Küche als Stellvertreterin des modernen Lebens als zwiespältig an, da der Zugewinn an Autonomie zu einer vermehrten Berufstätigkeit der Frau führte und somit zu einer Doppelbelastung durch eine Aufgabenerhöhung. Nach weiteren chronologisch geordneten Beispielen männlicher Protagonisten der Designgeschichte und der Frage nach übergeordneten Gestaltungsmaximen, dem Stellenwert von Erziehung durch Design und der Übernahme von Verantwortung durch Designer_innen schließt das Kapitel mit einer Untersuchung von immateriellen Perspektiven.


Das dritte Kapitel analysiert aktuelle sozial-ökologische Zusammenhänge und fragt, wie sich derzeitige Gesellschaften den Missständen ihrer Zeit wie übermäßiger Konsum, Anthropozentrismus, materielle Schnelllebigkeit und Ressourcenverbrauch stellen können. Christian Bauer sieht einen Paradigmenwechsel als essenziell für unser zukünftiges ethisches Handeln an. Wissen schafft Verantwortung trifft auch hier auf Gestalter_innen zu. Als Orientierungshilfe für den gestalterischen Umgang empfiehlt der Autor den Designer_innen die 17 Sustainable Development Goals der United Nations. Zudem sieht er einen genossenschaftlichen Zusammenschluss von Designer_innen als zukunftsweisend an. Abschließend betrachtet Christian Bauer die Geschlechterungerechtigkeit im Objekt- und Produktdesign am Beispiel des Automobils. Er orientiert sich dabei auch an Rebekka Endler, die konstatiert: „Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt“ (Rebecca Endler: Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt. Köln, 2021, o. S.).


Wünschenswert wäre gewesen, wenn diese feministische Ethik, die an verschiedenen Stellen der Publikation angesprochen wird, auch in Kapitelüberschriften sichtbar geworden wäre. Zusätzliche Beispiele, die deutlich machen, dass Diversität auch in anderen Designdisziplinen leider noch Mangelware ist, wären hier ebenso hilfreich gewesen. Stereotype Zuordnungen von Geschlechtern mittels Farbe und Form in der Werbung und ihre massenhafte mediale Verbreitung wäre dabei sicherlich ein relevanter Untersuchungsgegenstand gewesen, da tradierte Gestaltungsweisen Gefahr laufen, als Role Models angesehen zu werden. In der sprachlichen Umsetzung der Publikation ist keine stringente Geschlechtergerechtigkeit erkennbar. Zwar finden sich zweigeschlechtliche personale Nennungen, aber auch wiederholt das generische Maskulin. Eine definierte Struktur der geschlechtersensiblen Nennung hätte sich leicht durch eine erklärende Fußnote verdeutlichen lassen.


Ethik für Designer stellt eine gut lesbare Einführung dar, die gerade für angehenden Designer_innen wichtige Impulse setzt, sich mit ihrem im Wandel befindlichen Berufsfeld kritisch und reflektiert auseinanderzusetzen. Für Gestalter_innen ist das frühe Ausbilden einer ethischen Haltung notwendig, um Prozessen von Automatisierung und Digitalisierung, wie zum Beispiel durch künstliche Intelligenzen, zu begegnen. Hilfestellung dafür bietet die Publikation durch eine kurze Abhandlung konkreter ethischer Fragestellungen, die der Selbstreflektion von Designer_innen dient. Im Anhang finden sich Literaturempfehlungen und Verlinkungen von themenrelevanten Websites. Seitliche Verschlagwortungen bieten kurze Definitionen von Begriffen und Personen, die eine hilfreiche Orientierung für die Leser_innen darstellen. 


English Abstract

Morality as a Symbol of Its Time: Historical and Contemporary Attitudes Towards Design and Ethics in Christian Bauer’s Ethik für Designer

The publication Ethik für Designer is structured into three main chapters, which focus on the basics of ethics principles, historical ideas of morality and necessary contemporary transformation processes regarding design perspectives. Ethical standards are reflected in temporal and cultural contexts to which design should respond or provide direction. Drawing on different philosophical theories on ethics, virtues and morality the author provides solutions and transfers them to design action.

 

 

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