Aemulatio, Kollaborationen und Aneignung — Zum Self-fashioning nordischer Künstlerinnen in den 1880er Jahren

 

A Review by Lisa Pregitzer (Lisa.M.Pregitzer@kunst.uni-giessen.de)

Institut für Kunstpädagogik der Justus-Liebig-Universität Gießen

 

Rech, Carina. Becoming Artists. Self-Portaits, Friendship Images and Studio Scenes by Nordic Women Painters in the 1880s. Göteborg/Stockholm: Makadam Förlag, 2021. 448 Seiten, 30,00 EUR. ISBN: 978-91-7061-854-3.

 

Abstract

Carina Rech analysiert in ihrer Dissertation das professionelle Self-fashioning nordischer Künstlerinnen in den 1880er Jahren. Die zu untersuchenden Künstlerinnen hielten sich während dieser Zeit kürzer oder länger in Paris auf, was für ihre berufliche Entwicklung maßgeblich war. Anhand ausgewählter Arbeiten der Künstlerinnen sowie schriftlicher Quellen — darunter Korrespondenzen, Rezensionen, Zeitungsartikel — erarbeitet die Autorin das Themenfeld. Im Fokus stehen dabei die Strategien der Aemulatio, der Kollaboration und der Aneignung.

 

Review

Carina Rech nimmt in ihrer Dissertation Becoming Artists. Self-Portraits, Friendship Images and Studio Scenes by Nordic Women Painters in the 1880s in den Blick, “how Nordic women painters negotiated their professional identity in painting during the 1880s” (S. 13). Zur Untersuchung dieses professionellen Self-fashioning zieht die Autorin ausgewählte Selbstporträts, Freundschaftsbilder und Atelierdarstellungen sowie zahlreiche schriftliche Quellen heran. Unter Self-fashioning — ein Begriff, der auf den Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt zurückgeht —, versteht Rech einerseits, wie sich Künstler_innen in ihren Arbeiten inszenierten und andererseits, auf welche Weise sie ihre Werke zu eigenen Zwecken, zum Beispiel zur Selbstvermarktung, einsetzten (S. 34).


Im Fokus stehen acht Künstlerinnen aus vier Ländern: Jeanna Bauck, Julia Beck, Eva Bonnier, Hanna Hirsch-Pauli und Hildegard Thorell aus Schweden, Bertha Wegmann aus Dänemark, Asta Nørregaard aus Norwegen und Venny Soldan-Brofeldt aus Finnland. Geographischer Dreh- und Angelpunkt ist Paris, da die Künstlerinnen in den 1880er Jahren kürzer oder länger dort lebten und dies für ihren beruflichen Werdegang prägend war. Das Übergewicht an schwedischen Künstlerinnen erklärt die Autorin mit der damals in Schweden im nordischen Vergleich besseren Ausbildungssituation für Künstlerinnen und der daraus resultierenden Vorreiterrolle schwedischer Künstlerinnen (S. 15). Die ausschließliche Bezugnahme auf Künstlerinnen nordischer Länder begründet sie wiederum damit, dass „in the work of Nordic women painters artistic identity is negotiated in a pronounced manner, unparalleled by artists from other regional contexts in the period” (S. 22).


Nordische Künstlerinnen hinsichtlich ihrer künstlerischen Identität einerseits zusammenzufassen und andererseits ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten schwedischer Künstlerinnen entstehen zu lassen, ist nicht ganz unproblematisch. Auch in kontextualisierenden Ausführungen bezieht sich Rech bevorzugt auf die Situation in Schweden. So spricht die Autorin von der nordischen Kunstszene der 1880er Jahre, konkret länderbezogene Ausführungen vollzieht sie allerdings einzig am Beispiel Schwedens (S. 28 f.). Ferner geht sie auf die verbesserten sozialen Bedingungen für Frauen im Schweden der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die dortige Künstlerinnenausbildung ein (S. 30–32). Vergleichbare Erläuterungen bezogen auf Dänemark, Finnland oder Norwegen fehlen hingegen; in einer Fußnote wird lediglich darauf verwiesen: „In contrast to the Swedes, Danish, Finnish and Norwegian women painters received their training mainly at drawing schools and private academies at home or abroad“ (S. 283 f.).


Eine differenziertere Darlegung hätte sicherlich noch weiter verdeutlicht, inwiefern von einer gemeinsamen künstlerischen Identität nordischer Künstlerinnen die Rede sein kann. Dieser Kritikpunkt soll allerdings nicht über die hohe Qualität der einleitenden Darstellung des anspruchsvollen Vorhabens hinwegtäuschen, die sich durch die gelungene Struktur, den formidablen Sprachstil und nützliche Redundanzen auszeichnet. Der Hauptteil der Arbeit besteht sodann aus den Kapiteln „The Self-Portrait“, „The Friendship Image“ und „The Studio Scene“.


Julia Becks beruflicher Werdegang und ihr Selbstporträt von 1880 stehen im Fokus des Kapitels „The Self-Portrait“. Ihr Selbstporträt erinnert aufgrund seiner Stilistik sowie der Garderobe und Haltung der Dargestellten an Porträts des 17. Jahrhunderts, insbesondere Rembrandts. Bei diesen Ähnlichkeiten handelt es sich laut Rech um keine Form des Zitierens Alter Meister, sondern um einen Akt der Aemulatio, die sich von der reinen Nachahmung (Imitatio) durch den Versuch des Rivalisierens mit dem Vorbild unterscheidet (S. 68–73). Rech zeigt auf, dass unterschiedliche Formen der Aemulatio in Künstlerinnenselbstporträts seit dem 18. Jahrhundert nicht unüblich waren und als eine Form des professionellen Self-fashioning und des Empowering von Künstlerinnen zu betrachten sind (S. 85–92). Mit dem Selbstporträt feierte Beck 1880 ihr Debüt im Pariser Salon. 50 Jahre später vermachte sie es der Königlichen Akademie in Stockholm und gestaltete damit ihr künstlerisches Erbe und ihre kunsthistorische Rezeption in Stockholm aktiv mit (S. 66, 99 f.).


Dem Kapitel “The Friendship Image” liegt die Annahme zugrunde, dass Freundschaft zwischen und Kollaboration unter nordischen Künstlerinnen der 1880er Jahre maßgeblich für deren Self-fashioning waren. Den Freundschaftsbildern von Jeanna Bauck und Bertha Wegmann und ihrer Korrespondenz mit Hildegard Thorell schenkt Rech dabei besondere Aufmerksamkeit (S. 102 f.). Mit ihren allgemeinen Ausführungen zum Freundschaftsbild, zu künstlerischer Kollaboration, zu Frauenfreundschaften im 19. Jahrhundert und zur Emotionsforschung in den Geisteswissenschaften legt sie ihre theoretischen Grundlagen überzeugend dar (S. 103–118).


Wegmanns und Baucks gemeinsame künstlerische Praxis zeichnet sich durch einen „collaborative-competitive spirit“ aus (S. 139). Häufig arbeiteten die Künstlerinnen Seite an Seite, saßen sich gegenseitig Modell, teilten zeitweise eine Wohnung und ein Atelier, reisten gemeinsam und unterstützten sich sowohl künstlerisch als auch finanziell (S. 130, 138, 140). Beide schufen Werke, in denen künstlerische Identität, Freundschaft und Kollaboration thematisiert wurden. Manchmal arbeiteten sie sogar zu zweit an einem Werk und signierten es entsprechend. Ihre arbeitsteilige künstlerische Praxis im Rahmen ihrer individuellen Auftragsarbeiten hielten sie jedoch geheim (S. 186 f., 193 f.). Rech zufolge konnte eine kollaborative oder arbeitsteilige Praxis Künstlerinnen in besonderem Maße negativ angelastet werden, zum Beispiel indem sie als Zeichen fehlender weiblicher Schöpfungskraft interpretiert wurde (S. 195). Mit kollaborativen Verfahren in ihrer künstlerischen Praxis unterliefen Bauck und Wegmann beziehungsweise Künstler_innen generell die damals vorherrschende Idee des alleinschöpfenden Künstlergenies (S. 187 f., 198).


Im Kapitel „The Studio Scene“ zeigt Rech anhand von Hanna Hirsch-Paulis Gemälde The Artist Venny Soldan-Brofeldt, Eva Bonniers Interior of a Studio in Paris und Asta Nørregaards In the Studio sowie weiterer Vergleichswerke die Bedeutung des Ateliers für das Self-fashioning nordischer Künstlerinnen der 1880er Jahre auf (S. 205). Neben den künstlerischen Strategien der Aemulatio und der Kollaboration führt sie nun die Strategie der Aneignung ein. Dabei geht es konkret um die visuellen Strategien, „by means of which Nordic women artists appropriated and widened spaces of representation, and thereby turned the studio into a room of their own“ (S. 205 f.).


Das Atelier im Gemälde The Artist Venny Soldan-Brofeldt ist einfach und komfortlos wiedergegeben, wohingegen zeitgenössische Quellen auf dessen Wohnlichkeit verweisen. Rech argumentiert, dass eine solch karge Inszenierung als „a means for the artist to appropriate an artistic ideal of privation and hardship” zu betrachten ist (S. 220–222). Außerdem erläutert sie, dass Soldan-Brofeldt in dem Gemälde aufgrund ihrer Pose — mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden sitzend — das Ideal des „worker-artist“ verkörpert und damit bürgerlichen Schicklichkeitsidealen zuwiderläuft. Diese Pose und die kompositorische Dominanz Soldan-Brofeldts können als eine Form der „bodily appropriation of the studio“ betrachtet werden (S. 239 f.).


In ihrer „Concluding Discussion“ führt Rech ihre Thesen konzise zusammen. Prägnant bringt sie nochmals den zentralen Gedanken auf den Punkt, dass sie die untersuchten Werke nicht als „biographical documents“ versteht, sondern als „aesthetic objects“, die dem Self-fashioning der Künstlerinnen dienten, dessen Konstruiertheit und Oszillieren zwischen Realität und Fiktion stets mitgedacht werden muss (S. 274).


Rechs Arbeit zeugt von einer akribischen Analyse des Bild- und Textmaterials verbunden mit einem wohldurchdachten und innovativen methodischen Vorgehen. Durch die kontinuierliche Kontextualisierung ihrer Thesen in der bisherigen Forschung schafft sie es nicht nur, den Mehrwert ihrer Forschung zu unterstreichen, sondern ermöglicht es Leser_innen ohne einschlägige Sprachkenntnisse oder inhaltliche Expertise, einen guten Überblick über die relevanten Forschungsfelder zu erhalten. Auch ist der durchgehend kritische Umgang mit etablierten Forschungsthesen, der einer mythenbildenden und -verstärkenden Kunstgeschichtsschreibung entgegenwirkt, besonders hervorzuheben. Die Lektüre von Rechs Dissertation ist in jeder Hinsicht eine große Freude und wärmsten zu empfehlen.

 

English Abstract

Emulation, Collaboration and Appropriation — About Nordic Women Artist’s Self-Fashioning in the 1880s

In her dissertation Carina Rech analyzes Nordic women painter’s professional Self-fashioning in the 1880s. The women artists under consideration lived in Paris during the 1880s for different periods of time, which was fundamental for their professional development. By means of selected works of these women artists as well as written sources — amongst other things correspondences, reviews and newspaper articles — Carina Rech studies this topic. Thereby, the focus is on emulation, collaboration and appropriation as strategies.

 

 

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