Ulrike Felsing: Reflexive Ausstellungskataloge
A Review by Tabea Lurk (tabea.lurk@fhnw.ch; https://orcid.org/0000-0001-9848-8136)
Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW; Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel
Felsing, Ulrike. Reflexive Kataloge. Ein Medium der Übersetzung als Ausstellung, Film und Hypertext. transcript Verlag, 2021. 314 Seiten, 45,00 EUR. ISBN: 978-3-8376-5628-2.
Abstract
Die
Dissertation Reflexive Ausstellungskataloge — Ein Medium der
Übersetzung als Ausstellung, Film und Hypertext behandelt
intermediale Bezüge bei der Gestaltung von Ausstellungskatalogen. Anhand
von fünf Beispielen zeichnet Ulrike Felsing Gestaltungstechniken nach,
welche a) das/die ausgestellte/n Kunstwerk/e, b) die Räumlichkeit der
Präsentation sowie die kuratorische Praxis der Installation und c) die
Medialität des (gedruckten) Buches dynamisch aufeinander beziehen.
Review
Dreh und Angelpunkt in Ulrike Felsings Argumentation sind Anordnungslogiken, also die Art und Weise, wie der oder die Text/e und das oder die Bild/er auf der Fläche der jeweiligen Katalogseite und in der Abfolge der Seiten in Bezug zueinander gesetzt werden. Während bei werkbezogenen Ausstellungskatalogen gemäss Dina Feßl (Das spätmittelalterliche Heiltumsbuch als autonomer Publikationstypus: der erste Ausstellungskatalog neuzeitlicher Prägung mit Erinnerungswert. München 2013, S. 182 f.) die „Objektverzeichnung“ von zentraler Bedeutung ist, regten „reflexive“ Kataloge durch die Anordnung der Elemente die Rezipierenden zur Sinnproduktion an, so die Kernaussage des Buches. Beim schauenden Lesen passiere also etwas, was mit jenem Wahrnehmungserlebnis vergleichbar ist, das im Ausstellungskontext durch den kuratorischen Kitt der Präsentation als Mehrwert produziert wird. Um die Argumentation zu stützen liest Felsing die Auswahl der (abgebildeten) Materialien und die Strategie der buchbasierten Vermittlung als (inter-)mediale Konstellationen, die ihre Lesenden/Betrachtenden zum Denken anregen, also aktivierend sein können.
Wie genau dies gelingt und was typische Strategien bzw. Merkmale für eine derart „reflexive“ Gestaltung sein können, erläutert Ulrike Felsing anhand ihrer Beispiele wie folgt: Collatéral (Leipzig 2009) von HIT präsentiere das gleiche Werk in einer Montage mehrfach, aber je unterschiedlich. Einmal werde dabei eher eine „seitenbezogene“ (S. 281), das andere Mal eher eine „raumbezogene Logik“ bedient (ebda.). Walter Pamminger nutzt im Katalog Riss, Lücke, Scharnier A (Zürich 2006) hingegen variierende Abbildungsperspektiven auf das Werk. Durch die Kombination von Halbtotale, Close-Up und anderen Sichten entstehe ein Perspektivwechsel und eine Art Schwebezustand, der die Katalogseiten in Analogie zur Galeriewand erscheinen liesse. Markus Dreßen und Philipp Arnold machten sich bei Behälter (Dresden 1998) wechselnde Einstellungsgrößen der fotografisch abgebildeten Werke zunutze. Durch die sequenzielle Anordnung der Installationsfotos sowie gefundener Bildmaterialien (sog. Found-Footage), die aus dem Werkzusammenhang stammen, würde die Abbildungsweise selbst „syntagmatisch einen möglichen Weg durch die Ausstellungen“ vermitteln, so die Autorin (S. 281). Die Anordnungslogiken der beiden Kataloge Constantin (Leipzig 2006) von Markus Dreßen, Olaf Nicolai und Jan Wenzel sowie Peggy Buth — Desire in Representation: Katalog (Leipzig 2010) von Peggy Buth und Till Gathmann erinnern Ulrike Felsing schließlich an die Struktur von Hypertexten, da die Bilder in nicht-linearer Weise wie Argumente für das eine oder andere Paradigma hervorgebracht würden. Damit denotiere das Bildmaterial die Kunstwerke so, „dass diese unzweifelhaft und eindeutig zu erkennen geben, was insbesondere in Hinsicht auf die Dokumentation der Ausstellung bedeutsam ist“ (S. 285). Gleichzeitig ändere sich aber durch die Präsentationsform im Katalog die Aussagekraft der einzelnen Bilder: „Der reflexive Gebrauch [der Bilder in den vielfältigen Medien- und Abbildungsrelationen] hebt […] die Darstellungsfunktion nicht vollkommen auf“, so Felsing wörtlich: „die Bilder oszillieren zwischen dem Modus der Transparenz […Fremdbezug…] und dem der Störung […Selbstbezug…]“ (ebda.).
Diesem explorativen Kern der Dissertation mit detaillierten Analysen der Fallbeispiele (Kapitel 5 – Reflexive Kataloggestaltung), den Beobachtungen zur Reflexiven Anordnungslogik (Kapitel 6) sowie den Modalitäten der Kommunikation (Kapitel 7) stellt die Autorin einen breit abgestützten wissenschaftlich Apparat voran: Dazu wird das Begriffs- und Gegenstandsverständnis (Kapitel 2) dargelegt und der mediale Bezugsrahmen des Katalogs (Kapitel 3) aufgezeigt. Zudem hat Ulrike Felsing eine kleine historischen Typologie der Anordnungslogik (Kapitel 4) und am Ende der Abhandlung ein Resümee und Ausblick (Kapitel 8) verfasst, dem wiederum ein umfangreicher Quellennachweis folgt.
Stilistisch wird der bemerkenswerte Duktus der Abhandlung bereits in der Einleitung (Kapitel 1) deutlich: Geradezu mühelos meistert die Autorin den schwierigen Spagat angewandter Designforschung, der zwischen fachlicher Expertise und wissenschaftlichen Formvorgaben sowie etablierten Denktraditionen irgendwie vermitteln muss. Der Aufbau der Arbeit (s. o.) orientiert sich formal und methodisch an bekannten Dissertationsstrukturen. Reflexiv wirkt dies, weil die Gliederung dennoch selbstbewusst die eigene disziplinäre Sicht einbringt und sich damit vom Konventionellen abhebt. Der praxisbasierte Forschungsansatz, der sonst in designwissenschaftlichen Dissertationen häufig untergeht, bleibt so erhalten und bereichert den bisherigen, eher inhaltsorientierten, text-bildbezogenen Stand der Katalogforschung. Gelungen wirkt das Ganze auch deshalb, weil auch Lesende, die nicht aus dem Feld des Grafikdesigns oder der visuellen Kommunikation kommen, gut nachvollziehen können, inwiefern die behandelten Beispiele reflexiv sind.
Die Publikation ist in mehrfacher Hinsicht ausgesprochen lesenswert. Als Sachbuch erläutert sie wichtige fachliche Sachverhalte, die bei der Gestaltung von Ausstellungskatalogen zum Tragen kommen. Vieles lässt sich auch allgemeiner auf den Umgang mit visuell abgebildeten Quellen übertragen, wie die Autorin auch in anderen Zusammenhängen dargelegt hat. Exemplarisch genannt seien der Aufsatz „Wechselwirkungen zwischen digitalen und analogen Repräsentationslogiken“ (in: Zeitschrift für NEUE Kunstwissenschaftliche Forschungen, Nr. 3, 2017, S. 38–47) sowie die demnächst erscheinende Rezension der Autorin zum Katalog „Freuds verschwundene Nachbarn“ (in: Historische Anthropologie: Kultur, Gesellschaft, Alltag, Nr. 1, 2023, accepted). Die Eingrenzung auf das Design von Ausstellungskatalogen wirkt sachdienlich, da so der Fokus auf spezifische Gestaltungsaspekte gelegt wird, die in der Tiefe untersucht und kontextualisiert werden. Die Charakterisierung von Ausstellungskatalogen als „reflexiv“ lässt diese fachintern im Kontext jenes „allgemeinen Bewusstseinswandel[s] im Design“ (S. 14) erscheinen, den bspw. Katrin Menne (Whose Territory? Zum Verhältnis von Kunst und Design. Pforzheim 2018, S. 15–19) als „Autorendesign“ bezeichnet hat.
Gleichzeitig ist das gewählte Thema aufgrund des Gegenwarts- sowie des Kunst- und Ausstellungsbezugs ein Querschnittsthema, das in viele angrenzende Forschungsfelder hineinragt: vom Kommunikationsdesign bis in die Kunstwissenschaft, von medientheoretischen Ansätzen über die kuratorische Praxis bis in die Geschichtswissenschaften und die Digital Humanities, in denen der visuelle Umgang mit bildbasierten Quellen immer wieder ein wichtiges und zentrales Thema ist. Nicht zuletzt regt die Arbeit zum Nachdenken an und wirft neue Fragen auf. Designpraxis und Wissenschaftsapparat stehen versöhnlich Seite and Seite. Sie ergänzen sich zu einem harmonisch ausgewogenen Ganzen, das Mehrwert schafft. Der Stand der Forschung wird sowohl inhaltlich als auch methodisch erweitert und kann so zum Vorbild für andere künstlerische und/oder gestalterische Dissertationen werden.
English Abstract
Ulrike
Felsing: Reflexive Exhibition Catalogues
The
dissertation Reflexive Ausstellungskataloge — Ein Medium der
Übersetzung als Ausstellung, Film und Hypertext deals with
intermedial references in the design of exhibition catalogues. Using five
examples, Ulrike Felsing traces design techniques that dynamically relate
a) the exhibited artwork(s), b) the spatiality of the presentation as well
as the curatorial practice of the installation and c) the mediality of the
(printed) book to one another.
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