Kindheit und Nation: Zwei Kategorien und ihre Bedeutungen in einer globalisierten Welt

 

Eine Rezension von Silke Jakob (silke.j.jakob@erziehung.uni-giessen.de)

Justus-Liebig-Universität Gießen

 

Millei, Zsuzsa und Robert Imre (Hrsg.): Childhood and Nation. Interdisciplinary Engagements. New York: Palgrave Macmillan, 2016. 265 Seiten, 100 USD. ISBN: 978-1-137-477-82-8

 

Abstract

Der Sammelband Childhood and Nation. Interdisciplinary Engagements, herausgegeben von den Sozialforscher*innen Zsuzsa Millei (Univ. Tampere, Finnland) und Robert Imre (Univ. Newcastle, Australien) widmet sich in elf Beiträgen der Frage nach Kindheit und Nation anhand von Länderbeispielen. Dabei kreisen die Beiträge um die Fragen wie einerseits Kinder in einer globalisierten Welt innerhalb nationaler Konstrukte aufwachsen und lernen, sich als Bürger*innen eines bestimmten Staates zu identifizieren, obgleich die Idee Kindheit immer mehr als globale und kosmopolitische Ideen betrachtet werden kann. Andererseits sind Migration und Staatenlosigkeit nur zwei weitere Bedingungen, welche die Frage nach Nationalität in Frage stellen.

 

 

Rezension

Der Sammelband „Childhood and Nation“ geht auf die Idee zurück, Kindheit als kulturelle und politische Konzeption theoretisch zu beschreiben. Damit wird auf eine Idee zurückgegriffen, die 20 Jahre zuvor von Sharon Stephen’s in ihrer Studie „Children and the Politics of Culture“ publiziert wurde. Dennoch ist die Thematik mit Blick auf das aktuelle weltpolitische Geschehen, sowie in Zeiten von Migration und Flucht einerseits, Globalisierung und Nationalismus andererseits, ungeheuer wichtig.

 

Die Dynamik und Interdisziplinarität des Themenkomplexes wird in diesem Sammelband durch vielfältige methodologische Herangehensweisen untersucht. Das bedeutet, dass diese Beiträge nicht nur die klassische Kindheitsforschung sondern ebenfalls ethnografische Studien, Literaturanalysen und die kritische Pädagogik umfassen. Dabei sind die Buchbeiträge in zwei Gruppen unterteilt: Im ersten Teil des Buches wird unter dem Titel „ Gouvernement, Representations, and Resistance“ im weitesten Sinne Konzepten von „Nation“, nationalen Grenzen und Grenzen in Form von Definitionen von Kindheit nachgegangen. Im zweiten Teil des Buches werden „subject formations“ – Kindheiten – als Erfahrungsräume von Transnationalismus und Nationalität beschrieben.

 

Aus dieser Unterscheidung ergeben sich für den ersten Teil des Sammelbandes fünf verschiedene Beiträge. So werden Konzepte wie „Gouvernement, Representations, and Resistance“ im Aufsatz von Prasanna Srinivasan im Rahmen einer Analyse der Narrative von Kindern aufgezeigt. Srinivasan kann hier zeigen, dass nicht für alle australischen Kinder auch eine nationale Identität möglich und sagbar ist, so etwa aufgrund der Hautfarbe.

 

Lucy Hopkins hingegen nähert sich der Frage nach Kindheit und Nation auf dem Wege der Literaturanalyse des Romans „Midnight’s Children“ (Salman Rushdie). Eine weitere Literatur- und Filmanalyse von Werken zur Zeit Francos legt Miowei Weng vor. Und auch im fünften Kapitel wird über eine Literaturanalyse australischer Bilderbücher zu asylsuchenden Personen die Frage der Repräsentation von Nation und Kindheit kritisch betrachtet. In einem Sammelband zu Nation und Kindheit erscheint schließlich der Nahostkonflikt ein nahezu unumgängliches Thema zu sein. So ist dieser geopolitische Kontext Thema zweier Beiträge in diesem Band; in einem davon versucht Mikko Joronen palästinensische Kindheit unter israelischer militärischer Besatzung und damit Kindheit in einen Erfahrungskontext von Israelischen Rahmenbedingungen aufzuzeigen.

 

Die Verknüpfung zwischen Territorialität und nationaler Identität von palästinensischen Kindern interessiert auch Bree Akesson. Gleichwohl fokussiert sie stärker die Subjektperspektive, weshalb der Beitrag über ihre qualitative Forschung mit jungen Palästinensern und Palästinenserinnen in West Bank und Ost-Jerusalem im zweiten Teil des Buches zu finden ist. Nach dem jahrelangen Konflikt in Nordirland und Irland steht in Marquerita Magennis Beitrag nicht die Auseinandersetzung, sondern die Veränderungen der beiden Länder bezüglich nationaler Identitäten im Vordergrund. Ein weiterer interessanter Beitrag von Alistair Ross zeigt hingegen auf wie die Konstruktion von nationaler Identität Jugendlicher und junger Erwachsener als wesentliches Unterscheidungskriterium herangezogen wird, um eine Abgrenzung von der Erwachsenen- und Großelterngeneration zu erzeugen. Ebenfalls im zweiten Teil der „subject formation“ beschreibt Esther Miedema wie globale Diskurse Vorstellungen von kindlichen Subjekten formen. Dies zeigt sie eindrucksvoll anhand einer multi-methodologisch angelegten Forschung über Gesundheitsaufklärung zu HIV in Mosambik. Die Frage, wie öffentliche Diskurse auf Vorstellungen über Kindheit Einfluss nehmen, thematisiert auch Tatjana Zimenkova. Hierfür analysiert sie russische Curricula und wie darin globale Themen verhandelt werden.  Der zweite Teil des Sammelbandes wird abgerundet mit einem Aufsatz zum Projekt „Doing family in a transnational context“ (2013 – 2016). Darin werden Dimensionen der Eigen-Identifizierung von Kindern aufgezeigt, die als polnische Migrant*innen in Norwegen leben.

 

Insgesamt profitiert der Sammelband von der Heterogenität der Beiträge. Dadurch gelingt es, unterschiedliche Aspekte der Themen Kindheit und Nation sowie deren Verknüpfungen vorzustellen. Die Themen Kindheit und Nation werden so dekonstruiert und zugleich ihre Komplexität sowie Beliebigkeit problematisiert. Der Sammelband besticht durch sein breites Spektrum an Themen, weshalb er für Studierende, Nachwuchswissenschaftler*innen und ein interessiertes Fachpublikum gut geeignet ist.

 

 

English Abstract

Childhood and Nation: The Meaning of Two Categories in a Globalized World

The book Childhood and Nation. Interdisciplinary Engagements, edited by social scientists Zsuzsa Millei (Univ. Tampere, Finland) and Robert Imre (Univ. Newcastle, Australia), discusses questions about childhood and nation within eleven examples from different countries. Thereby, the chapters target issues regarding the difference between children growing up in a globalized world while being raised as national citizens. Consequently, the book elaborates on the tension between the national identification every child is confronted with and the pertinent idea of childhood as a global and cosmopolitical concept. In this respect, migration and statelessness are seen as two conditions questioning nationality in recent times.

 

 

Copyright 2017, SILKE JAKOB. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).