Weibliches Wirken in einem erdachten Mittelalter: Macht von Frauen in Westeros interdisziplinär
Eine Rezension von Cathérine Annette Ludwig-Ockenfels (catherine.ludwig-ockenfels@gcsc.uni-giessen.de)
International Graduate Centre for the Study of Culture (Giessen)
Zita Eva Rohr und Lisa Benz (Hrg.). Queenship and the Women of Westeros. Female Agency and Advice in Game of Thrones and A Song of Ice and Fire. Cham: palgrave macmillan, 2020. 263 Seiten, 53,49 EUR. ISBN: 978-3-030-25040-9.
Abstract
Die
weltweit rezipierte Buchserie A Song of Ice and Fire des
Fantasyautors George R. R. Martin sowie die Adaption als Serie Game of
Thrones durch den amerikanischen Fernsehsender HBO dient auch als
Forschungsobjekt der historischen Kulturwissenschaften. Im Sammelband wird
der Frage nach weiblichen Handlungsräumen in einem erfundenen Mittelalter
mit interdisziplinären Beiträgen nachgegangen. Vor dem Hintergrund des
erdachten Mittelalters – oder auch Frühen Neuzeit – dient es als
Handreichung, um in die Hof- und Geschlechtergeschichte einzuführen.
Review
Sowohl die Bücher von George R. R. Martin als auch die von HBO produzierte Serie waren das Medienereignis der 2010er-Jahre. Dieses medial erzeugte Bild einer fantastischen Vergangenheit ist ins kollektive Gedächtnis gelangt. Die Popularität der Serie und die daraus folgende breite Rezeption dieser fiktiven vergangenheitlichen Welt war auch der Anlass für die Entstehung dieses Sammelbandes. Im Vorwort berichten die Herausgeberinnen Zita Eva Rohr und Lisa Benz, dass sie wiederholt von ihrem privaten Umfeld auf die Verbindung der Serie zu ihrer Forschung angesprochen wurden. Ebenso wurde die Rezensentin von Studierenden mit Nachfragen zu Verfilmungen und historischen Serien in Seminaren zu weiblicher Herrschaft konfrontiert.
Umso erfreulicher war es, auf diese Publikation zu stoßen, die weibliche Herrschaft und den Handlungsspielraum von Frauen aus der Perspektive der Literatur- und historischen Kulturwissenschaft mittels einer populären Fantasyserie untersucht. Die Herausgeberinnen haben bereits 2016 den Sammelband Queenship, Gender and Reputation in the Medieval and Early Modern West, 1060–1600 (London: Palgrave, 2016) zur Herrschaft von Frauen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit herausgegeben. Darauf aufbauend liefern sie mit dieser weiteren Veröffentlichung zu Game of Thrones für das akademische Forschungsfeld einen Beitrag zu weiblicher Herrschaft in einem medial kreierten Mittelalter.
Die Publikation ist zweigeteilt in einen umfassenden Einleitungsteil und die inhaltlichen Beiträge. Ein ausführlicher Index deutet durch Einträge wie „Dragons“, „England“ und „Marriage“ an, dass das Werk für eine interdisziplinär aufgestellte Leser_innenschaft angelegt worden ist. Im Vorwort und in der Danksagung wird der persönliche Zugang der Editorinnen zu dem Thema besprochen. Nach Meinung der Rezensentin folgt das Inhaltsverzeichnis erst sehr spät auf S. xxi gefolgt von den „Notes of Contributors“. Die 14 Beitragenden stammen aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Geschichte, der Anglistik, Sinologie und Mediävistik und sind zusammen mit einer Essayistin zur Fantasyliteratur thematisch breit aufgestellt. Die Einleitung führt aus Sicht der historischen Politikwissenschaft und der Literaturwissenschaft in Räume weiblicher Macht in der mittelalterlich gedachten, fantastischen Welt ein. Ausgehend von Umberto Ecos zehn Wegen eines imaginierten Mittelalters („Dieci modi di sognare il medioevo“ (Zehn Wege um vom Mittelalter zu Träumen), in: Umberto Eco, Sugli specchi e altri saggi. Il segno, la rappresentazione, l’illusione, l’immagine. Mailand: Bompiani 1985, 78–89) stellen die Herausgeberinnen die Buch- und Fernsehserie auch als Ort für wissenschaftliche Reflektion zu Formen und Rezeption weiblicher Herrschaft in der Vergangenheit vor.
Die Beiträge sind thematisch untergliedert in „Queenship“, „Female Agency“ und „The Role of Advice“. Abgerundet werden sie mit einem Nachwort von Elena Woodacre. Im ersten Teil werden die (selbst ernannten) Königinnen von Westeros untersucht. Der Beitrag von James J. Hudson bricht chronologisch mit der Analyseebene eines imaginierten Mittelalters, da er sich mit der letzten chinesischen Kaiserinwitwe beschäftigt und sie mit Cersei Lannister vergleicht. Sylwia Borowska-Szerszun zeigt gängige Muster in der Darstellung weiblicher Herrschaft auf. Ihr zufolge üben die Königinnen aus Westeros in der Serie weniger die Position der Machthaberinnen aus, sondern werden nach wie vor als Objekte sexueller Begierde dargestellt, die aus diesem Status heraus versuchen, ihre Position zu stärken. Im zweiten Teil „Female Agency“ wird weniger auf die einzelnen Protagonistinnen eingegangen, stattdessen werden spezifische Handlungen und Handlungsräume auf ihre gegenderte Agency untersucht. Besonders Mikayla Hunter zeigt in ihrem Beitrag, wie George R. R. Martin und die Produzierenden der Serie trotz des Anspruchs mit Erzählmustern zu brechen, althergebrachte kolonialistische Muster des mächtigen Westeros gegenüber einem exotizierten Kontinents Essos aufgreifen und repetieren. Im dritten und abschließenden Teil liegt der Fokus auf der bedeutenden Rolle von Ratgeber_innen für die Ausübung von Herrschaft und es wird im Einzelfall untersucht, wie dies scheitert. Im Nachwort geht Elena Woodacre der Frage nach der eigenmächtigen Gestaltung der Protagonistinnen aufgrund eines weiblichen Sukzessionsrechts nach.
Die Untergliederung der Beiträge in diese inhaltlichen Kapitel ist schlüssig. Die Aufsätze thematisieren weibliches Herrschen und Wirken als an die Rosenkriege angelehntes Element von Machtkämpfen zwischen Häusern und verfeindeten Fraktionen. Jedoch könnte nach Meinung der Rezensentin in der Analyse des machtvollen Handelns von Protagonistinnen in dieser fantastischen Welt, der fundamentalen Bedrohung durch die ‚Weißen Wanderer‘ und deren König mehr Raum zum Handlungskontext innerhalb der Erzählung gegeben werden. Dies wird in der Einleitung (s. liii) nur kurz thematisiert.
In der Auseinandersetzung mit weiblicher Herrschaft in der Serie sollte zudem nicht nur ein erdachtes Mittelalter als Schablone genutzt, sondern auch eine erdachte Herrschaft frühneuzeitlichen Charakters betrachtet werden. Die Abkehr von gängigen Moralvorstellungen bei den Handlungen der Akteur_innen ist das bahnbrechend ‚Neue‘, was die Bücher A Song of Ice and Fire und die Fernsehserie Game of Thrones auszeichnet. Das scheinbar nur politischem Machtkalkül folgende Handeln der Akteur_innen, ohne Rücksicht auf ‚Gut‘ oder ‚Böse‘, ist an Macchiavellis Il Principe angelehnt. In den Beiträgen wird oft Il Principe herangezogen, um ein Ideal machtvollen Handelns aufzuzeigen, an dem sich weibliches Herrschen in der Serie orientiere. Macchiavelli ist mit seinem Werk zur politischen Philosophie aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aber nicht mittelalterlich zu verstehen, sondern wegweisend für die Gedankenwelt der Frühen Neuzeit. Auch das Titelbild verweist mit einem italienischen Renaissanceportrait der Simonetta Vespucci vom Maler Piero di Cosimo aus den 1480er Jahren weder auf das Buch oder die Fernsehserie noch auf weibliches Agieren im Mittelalter, sondern wiederholt das Muster der Frau als äußerlich ansprechendes Objekt der Begierde.
Im Gegensatz zum historischen Diskurs sind die untersuchten Akteurinnen nicht real, sondern erdacht. Es zeichnet die Publikation aus, dass es sich auf der Ebene der Reflektion über weibliche Herrschaft in den Werken von George R. R. Martin eben um eine erdachte Vergangenheit handelt, bei deren Untersuchung dennoch auf theoretische Untersuchungsansätze der historischen Methode zurückgegriffen wird, um die Allgemeingültigkeit dieser Methoden aufzuzeigen. Durch beständigen Rekurs auf reale Herrscherinnen und Herrscher wird der Anspruch auf Anwendbarkeit der historischen Methode auf die fiktiven Charaktere untermauert.
Dieser Sammelband versteht sich letztendlich als eine Einladung aus einem interdisziplinären Fokus heraus, die Handlungsräume weiblicher Herrschaft auf einen Untersuchungsgegenstand der Popkultur anzuwenden. Aufgrund der Bekanntheit der Serie eignet sich der Sammelband für Dozierende der interdisziplinären Hof- und Geschlechterforschung. Für die Arbeit in der Lehre können die einzelnen Beiträge als Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Agency realer Herrscherinnen dienen.
English Abstract
Female
Agency in an Invented Middle Ages: Women’s Power in Westeros from an
Interdisciplinary Point of View
The
internationally released book series A Song of Ice and Fire by
fantasy author George R. R. Martin and the TV-series adaption Game of
Thrones by the US-American broadcast channel HBO serve as objects of
investigation for historical cultural studies. In this edited volume, the
question of queenship and female agency is raised by investigating these
invented Middle Ages from an interdisciplinary focus. This study of female
rulers acting in an imaginary Middle Ages – and early modern history – can
serve as a recommendation to introduce courtly and gender studies.
Copyright 2021, CATHÉRINE ANNETTE LUDWIG-OCKENFELS. Licensed to the public under Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).