Rassismuskritische Allianzen gegen weiße Dominanz im Kulturbetrieb
A Review by Johanna Munzel (johanna.munzel@gcsc.uni-giessen.de)
Justus-Liebig-Universität Gießen
Liebsch, Elisa, Julian Warner und Matthias Pees (Hrsg.). 2018. Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen. Bielefeld: transcript Verlag, 2018. 304 Seiten, 17,99 EUR. ISBN: 978-3-8394-4340-8.
Abstract
Im zweisprachige Sammelband Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen reflektieren Künstler_innen, Kurator_innen und Wissenschaftler_innen ihre Zusammenarbeit mit weißen Kultur- und Bildungsinstitutionen. Die Beiträge thematisieren strukturellen Rassismus in den Institutionen und berichten von kritischen künstlerischen Interventionen. Die Publikation entstand im Rahmen des internationalen Theaterprojekts Afropean Mimickry & Mockery am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main und wird von den Initiator_innen des Projekts herausgegeben. Der Band richtet sich sowohl an eine akademische Leser_innenschaft als auch an Praktiker_innen im Kulturbereich, die sich kritisch mit der kolonialen Kontinuität in den Einrichtungen auseinandersetzen wollen.
Review
Die Publikation Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen von den Herausgeber_innen Elisa Liepsch, Julian Warner und Matthias Pees vereint rassismuskritische Positionen von Künstler_innen, Kurator_innen und Wissenschaftler_innen, die in und mit weißen Institutionen arbeiten. Die Beiträge sind Zeugnisse ihrer Arbeitserfahrungen und Kämpfe gegen strukturellen Rassismus. Sie vermitteln Handlungsanweisungen und geben Beispiele von richtungsweisenden künstlerischen Interventionen. Der Band entstand im Rahmen des Projekts Afropean Mimicry & Mockery in Theatre, Performance & Visual Arts, das von Elisa Liepsch und Matthias Pees 2014 bis 2016 am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main organisiert wurde. Die Artikel sind teils auf Deutsch, teils auf Englisch verfasst, nur die Einleitung der Herausgeber_innen ist zweisprachig.
Noch vor dieser Einleitung führt ein Dialog aus dem Film 1 Berlin Harlem (Lothar Lambert, 1974) zwischen einem weißen Regisseur, einer weißen Schauspielerin und einem Schwarzen Passanten namens John, in die Thematik des Bands ein: Die beiden Filmschaffenden wollen John dazu überreden, in ihrem Film mitzuspielen, da sie noch „´nen Schwarzen“ suchen für die Rolle des Schwarzen Ausländers. In diesem kurzen Dialog, der groß gedruckt über vier Seiten läuft, werden weiße Dominanz, Ignoranz, Rassismus und Sexismus im europäischen Kunst- und Kulturbetrieb auf den Punkt gebracht. Diese und weitere Themen werden in den vier Teilen der Publikation ausführlich dargestellt.
In den vier Beiträgen der erstens Teils berichten Anta Helena Recke über ihre Arbeit als Regisseurin an den Münchner Kammerspielen, Nana Adusei-Poko und Azadeh Sharifi über ihre Tätigkeiten als Dozentinnen an Universitäten und die freie Autorin Simone Dede Ayivi macht auf den Unterschied zwischen international und interkulturell aufmerksam: Mit einem internationalen Theaterfestival präsentieren sich Theater als weltoffene Räume, die auch Künstler_innen of Color präsentieren. Die geladenen Künstler_innen reisen jedoch wieder ab; die Theater machen weiter wie bisher. Mit der interkulturellen Öffnung des Theaters werden hingegen dauerhaft marginalisierte Positionen in den Strukturen integriert.
Der zweite Teil der Publikation richtet sich mit Handlungsanweisungen und best practice Beispielen an weiße Institutionen. Die brasilianische Künstlerin Fannie Sosa formuliert eine Guideline für Kultureinrichtungen für den Umgang mit eingeladenen Künstler_innen of Color. Ewelina Benbenek, Nadine Jessen und Elisa Liepsch stellen ihre Utopie des solidarischen Theaters vor, das in Anlehnung an die Idee der solidarischen Stadt einen hierarchiefreien und sicheren Kunstraum für Alle schaffen soll. Einen erkenntnisreichen Einblick in die Arbeit von Künstler_innen of Color mit weißen Institutionen in Großbritannien verschaffen Susata Biswas, Harold Offeh und Nephertiti Schandorf. Dort müssen die staatlichen Einrichtungen eine bestimmte Anzahl von Arbeiten von Black and People of Color (BPoC) präsentieren, um Fördermittel zu erhalten.
Der dritte Teil widmet sich Projekten, die in Museen, Kunsthochschulen oder freien Gruppen Kollaborationen „jenseits des weißen Individuums“ (S. 26) eingehen oder sich für deren Zustandekommen einsetzen. Margarita Tsomou, Mitglied des politischen Performancekollektivs Schwabinggrad Ballet aus Hamburg erzählt, wie das Kollektiv zusammen mit Geflüchteten eine CD in einem weitestgehend hierarchiefreien Prozess aufnahm. An der Kunsthochschule Weißensee in Berlin gibt es eine *foundationClass für geflüchtete Künstler_innen und Kunststudierende zur Vorbereitung für ihre Bewerbungen an Kunsthochschulen im deutschsprachigen Raum. In beiden Beispielen wird deutlich, dass trotz gewünschter Kontakte auf Augenhöhe ein Machtgefälle zwischen Geflüchteten und engagierten Aktivist_innen besteht. Es bedarf weißer Für-Sprecher_innen, die ihre Schlüsselposition strategisch nutzen, um marginalisierte Subjekte in den Diskurs einzubringen, indem sie Anträge für Fördermittel stellen und mit Behörden kommunizieren.
Die unter den vierten Teil gefassten Beiträge behandeln die Arbeitsprozesse deutsch-namibischer und deutsch-mozambikanischer Kunstprojekte; ein Interview mit einer Schwarzen Soziologiestudentin über Alltagsrassismus in der Hochschule und ein Interview mit dem kongolesischen Künstler Dieudonné Niangouna über seine Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Mousonturm. Insbesondere die Auswahl der Artikel des vierten Teils zeigt die Schwachstelle der Publikation: die Artikel sind unter vier Rubriken zusammengefasst, deren Systematik sich trotz der Vorstellung der Herausgeber_innen in der Einleitung nicht eindeutig erschließt. So sollen in Teil 1 institutionelle Strukturen anhand eigener Erfahrungen in den unterschiedlichen Einrichtungen untersucht werden, was sich bei genauerer Betrachtung der Beiträge nicht sonderlich von den Berichten über die „Praxis an Institutionen“ (S. 26) des zweiten Teils unterscheidet, da beispielsweise der Bericht von Biswas, Offeh und Schandorf über ihre Arbeit mit weißen Kunsteinrichtungen in Großbritannien gleichzeitig auch die institutionellen Strukturen des staatlichen britischen Fördersystems darstellt.
Die Herausgeber_innen betonen in der Einleitung, dass der Band weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Abgeschlossenheit erhebt und dies zeigt sich meines Erachtens in eben jener nicht stringenten systematischen Unterscheidung der vier Teile. Die Publikation stellt eine allgemeine Bestandsaufnahme von Erfahrungen von BPoc an und mit weißen Institutionen dar, die im deutschsprachigen Raum bisher kaum wissenschaftlich rezipiert wurde und möchte die Diskussion darüber anstiften.
Auffallend ist die künstlerische Gestaltung des Buches: Das Deckblatt und die Typographie, die die Titel der Beiträge großflächig in leuchtendem schwarz, weiß und orange über je eine Doppelseite nennen, wurde vom nigerianischen Künstler Karo Akpokiere gestaltet. niv Acostas Anklage an die kolonialen Kontinuitäten der Kunstinstitutionen scheint die Leserin oder den Leser als durchgehender Fettdruck mit lauter Stimme anzuschreien – wie um sich Gehör zu verschaffen? Die hegemoniekritische Perspektive macht demnach nicht bei den Inhalten halt, sondern zieht sich durch die gesamte künstlerische Gestaltung der Publikation und macht diese zu einem lesens- und sehenswerten Repräsentationsraum für marginalisierte Positionen im Kunst- und Bildungssektor.
English Abstract
Anti-Racist
Alliances against white Domination in the Cultural Sector
In the bilingual anthology Allianzen. Kritische Praxis an weißen Institutionen artists, curators, and scholars reflect on their cooperation with white cultural- und educational institutions. The contributions cover structural racism in the institutions and critical artistic interventions. The publication is part of the international theater project Afropean Mimickry & Mockery at Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main and is edited by the organizers of the project. The volume addresses an academic audience as well as practitioners in the cultural sectors who want to critically engage with the colonial continuity of their institutions.
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